Das grüne Wunder – Unser Wald

Im Rausch(en) der Bäume

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Es muss ja nicht gleich die Serengeti sein: Das Abenteuer Wildnis lockt schon vor der Haustür, im heimischen Wald. Dort kann man Wildschweine und Grasfrösche beobachten, Vogelstimmen erkennen und kleine Dramen verfolgen, etwa wenn ein Regentropfen auf ein Insekt fällt. Wer die zweiteilige TV-Dokumentation Mythos Wald von Jan Haft aus dem Jahr 2009 kennt, der weiß, welche Artenvielfalt einen unter dem Dach der Fichten, Buchen und Eichen erwartet. Haft hat nun aus seinem in den Jahren 2006 bis 2011 gesammelten Drehmaterial auch einen Kinofilm zusammengestellt. Unterlegt mit einem neuen Text, den Benno Fürmann spricht, präsentiert er darin viele der aus dem TV-Film bekannten Motive in einer anderen Montage, die sowohl thematisch gestrafft, als auch mit einigen weiteren Aufnahmen angereichert wird. Dabei verschiebt sich der Stil von der informativen, naturwissenschaftlich orientierten Dokumentation mehr in Richtung Poesie und ästhetisches Stimmungsbild.
Von Februar bis Spätherbst dauert die Kinoexpedition in den mitteleuropäischen Forst. Gedreht wurde an 70 verschiedenen Orten in Deutschland, Österreich und Dänemark. Der Schnee schmilzt im Zeitraffer, bevor, ebenfalls im Zeitraffer, Leberblümchen, Veilchen und Buschwindröschen ihre Blüten öffnen. Auf der großen Leinwand entfalten solche Aufnahmen natürlich noch mehr Pracht, ebenso wie die vielen Szenen in Zeitlupe, die vielleicht den auffallendsten Unterschied zum Fernsehfilm bilden. Man sieht hier den Flügelschlag von Vögeln und Insekten in durch die Verlangsamung geradezu ins Majestätische gesteigerter Schönheit. Der große Anteil von Aufnahmen mit veränderter Geschwindigkeit bringt einen gewissen Eventcharakter in den sonst so ruhigen Wald. Mit den spektakulären, an der Ästhetik orientierten Bildern erinnert der Film ein wenig an den Stil von Deutschland von oben.

Natürlich findet sich das Besondere hier nicht in den Aufnahmen aus der Luft, sondern zum Beispiel in der genauen, nahen Beobachtung von Insekten. Manche von ihnen überschlagen sich im freien Fall, wie man es sonst auf der Leinwand eher von Stuntmen in Actionfilmen kennt, und das nur weil ein Wassertropfen sie von ihrem Blatt katapultiert, oder ein anderes Insekt sie vom Baum schubst. Man sieht Kröten und Frösche teilweise unter Wasser gefilmt, folgt einer Hummel unter die Erde. Die Füchsin wird beim Aufziehen ihrer sieben Jungen im Bau beobachtet, ebenso die kunstvolle, im Flug stattfindende Übergabe der vom Sperbervater erlegten Beute an die Vogelmutter, die sie den Jungen bringen soll.

Jan Haft, der für das öffentlich-rechtliche Fernsehen schon über 30 Naturfilme produziert hat, wechselt reizvoll zwischen Szenen aus der Tier- und Pflanzenwelt. Dabei geht es auch oft um das gegenseitige Profitieren, wenn die Tiere auf Nahrungssuche den Bäumen und Blumen bei der Fortpflanzung helfen. Der Off-Kommentar ist reich an Metaphern, Blüten "locken geflügelte Liebesboten an", dann wieder wird ein Kampf der Pflanzen um die Sonnenstrahlen postuliert, den die Bäume gewinnen: "Die Riesen teilen nicht". Der nächtliche Wald gar "macht uns Angst". Es liegt nicht nur an den röhrenden Hirschen, die ebenfalls vorkommen, dass die Atmosphäre mitunter sowohl traditionell-konservativ, als auch romantisch wirkt.

Der Regisseur plädiert am Schluss für den lichten, offenen Wald, wie er vor der letzten Eiszeit große Teile Europas beherrschte. Damals wanderten Herden großer Tiere unter den Bäumen hindurch und sorgten für lockeren Bewuchs mit einer größeren Artenvielfalt, als sie heute in den dunkleren Wäldern anzutreffen ist. Dieses Anliegen würde vielleicht einen eigenen Film verdienen, hier aber wirkt es angestückelt. Besonders Kinder, deren Neugier auf den Wald beim Anschauen der schönen Bilder durchaus im Sinne des Autors geweckt werden dürfte, besitzen kaum Vorwissen, um die knappen Ausführungen einzuordnen. Über den heimischen Wald gäbe es, so viel macht dieser Film klar, noch einiges mehr zu sagen und zu erforschen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/das-gruene-wunder-unser-wald