18 comidas

Ohren- und anderer Schmaus

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

"Liebe geht durch den Magen", heißt es bekanntlich. In 18 comidas – 18 Essen von Jorge Coira werden beim Essen nicht nur Liebes-, sondern auch andere Beziehungen verhandelt, und dabei tut sich für die Vielzahl der Figuren so einiges. Der Film ist ein gelungener Multiplot-Film, der in Santiago de Compostela spielt, die spanische Lebensart und vor allem dessen kulinarische Seite dokumentiert und mit den Schicksalen seiner Figuren berührt. Seinen Geschichten stellt der Film einen Kommentar aus dem Off voran: "Es que comer no es sólo comer; alrededor de una mesa se abre el apetito, pero también el alma" ("Essen ist nicht nur Essen; bei Tisch öffne sich der Appetit, aber auch die Seele").
18 comidas – 18 Essen beschreibt einen Tag in der Stadt an der galizischen Küste, der im Film meist eine einzige Rolle spielt – und zwar die des Wallfahrtsorts, den so viele Pilgerreisende nach langen Wochen auf dem Jakobsweg aufsuchen. In 18 comidas – 18 Essen sind die Hauptfiguren Menschen in ihrem Alltag. Sie werden in ihrem Tagesablauf gezeigt, wie sie frühstücken, sich zum Mittagessen treffen und ein Abendessen zubereiten oder zum Essen ausgehen. Und während dieser drei Mahlzeiten ändert sich das Leben einiger dieser Figuren beträchtlich.

Da ist zum Beispiel Sol (Esperanza Pedreño), eine junge Mutter, die mitten in einer Krise steckt. Während Mann und Sohn außer Haus, bei der Arbeit und in der Schule sind, langweilt sie sich tagaus, tagein in der Wohnung der Familie, weiß nichts mit sich und ihrem Leben anzufangen. Nach dem Frühstück ruft sie deshalb endlich ihren Jugendfreund Edu (Luis Tosar) an, von dem sie seit einer Woche jede Nacht träumt – und gesteht ihm dies beim Mittagessen.

Víctor und Sergio leben seit Jahren zusammen, doch bisher hat Víctor seiner Familie gegenüber über das gemeinsame Leben mit einem Mann geschwiegen. Zum Mittagessen lädt sich das Paar Víctors Bruder Juan ein, der mit dem, was er vorfindet, so gar nicht umgehen kann. Und da ist – neben einigen weiteren Figuren – auch Vladimir, der zu jeder liebevoll zubereiteten und dekorierten Mahlzeit eine gewisse Laura erwartet, die jeweils kurz zuvor absagt.

Der Film wechselt wie selbstverständlich zwischen den lose miteinander verknüpften Geschichten hin und her, die sich uneinheitlich über den Tag verteilen. Während die eine Handlung erst mittags beginnt, werden die Figuren anderer Handlungsstränge nicht mehr beim Abendessen gezeigt. 18 comidas – 18 Essen bedient sich dabei der konventionellen Spannungserzeugung mehrsträngig erzählter Filme, indem er immer dann auf eine andere Geschichte umschaltet, wenn es gerade spannend im Gespräch zweier Figuren oder einer Figurengruppe eines anderen Handlungsstrangs wird. Hierbei zeigt sich dann auch die künstlerische Herkunft des Fernsehserienregisseurs Coira.

Einige der Figuren wachsen dem Zuschauer im Laufe des Films richtig ans Herz, andere bleiben dagegen farblos und sind schnell vergessen. Was den Film jedoch so einprägsam macht, ist die Stimmung, die er evoziert und die hauptsächlich von der – eigentlich diegetischen – Musik geprägt ist. Edu ist Straßenmusiker und steht – bis auf das Mittagessen mit Sol – den gesamten dargestellten Tag über an einer Straße, spielt Gitarre und singt. Diese Musik wird auch über die anderen Handlungsstränge gelegt, verbindet sie miteinander und findet am Ende immer wieder zu ihrem Erzeuger, dem Musiker auf der Straße, zurück. Sie startet schwungvoll und hoffnungsfroh in den Tag und ist am Abend – wie Edu, aber auch andere Figuren – von einer berührenden Melancholie gekennzeichnet.

Spanien ist berühmt für seine Tapas, kleine Köstlichkeiten, die zum Wein oder Bier gereicht werden und – so erzählt man sich – auf einen kleinen Teller passen müssen, der die Getränke abdeckt. Doch nicht nur Tapas bestimmen die Menükarte dieses einen Tages, den 18 comidas – 18 Essen beschreibt, sondern viele andere Gerichte: große und kleine, mit Fisch oder Huhn, Krabben und anderen Meeresfrüchten.

Besonders einfühlsam sind die Sequenzen, die ein altes Ehepaar beim Essen zeigen. Diese beiden Figuren gebrauchen das Essen nicht – wie viele der anderen Figuren im Film – als Vorwand, um dem andern seine Sehnsucht zu gestehen, um sich zu outen oder Entscheidungen zu treffen. Sondern das Paar trifft sich eben drei Mal am Tag in der Küche der gemeinsamen Wohnung, um schweigend zu essen. Diese Harmonie der Alltäglichkeit wirkt kontrapunktisch zu den anderen Geschichten und wie der ruhende Pol des Films; sie stimmt versöhnlich und lässt hoffen, dass auch die anderen Figuren ein so beschaulicher Lebensabend erwartet.

18 comidas – 18 Essen ist im neuen Programm von Cinespañol zu sehen. Cinespañol zeigt ab Dezember außerdem die Filme Escuela Normal, La Suerte en tus Manos und Jardín de Amapolas (www.cinespanol.de).

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/18-comidas