The Crime

Köpfe, die in Wände krachen

Eine Filmkritik von Festivalkritik Locarno 2012, Beatrice Behn

Bei The Crime scheiden sich bereits in der ersten Szene die Geister. Die einen finden den dort stattfindenden Lagerhallen-Clash zwischen rüpeligen Cops und ebenso rüpeligen Robbers vor allem laut, wohingegen die anderen hier eine grundehrliche Rückkehr zu grobporigem Männerkino à la Dirty Harry erkennen. Das natürlich laut ist. Weil richtige Männer natürlich nie leise sind.
Man kann es kaum anders sagen: The Crime ist ein echter Assi-Film. Die den lautstarken Ton angebende Hauptfigur (gespielt von Ray Winstone) ist ein bulliger Suffkopp, sämtliche Anzugträger sind bleiche Schwuchteln, Gesetze verstauben im nächsten Aktenschrank und Frauen gehören auf eine muffig riechende Matratze. Was sie selbstverständlich total antörnt. Denn gröhlende Outlaws repräsentieren die letzte echte Abenteuer-Bastion.

Und ein Abenteuer ist sie wirklich, die Arbeit der "Flying Squad" – einer Spezialeinheit der Londoner Polizei, die verdienten Banditen noch ordentlich aufs Maul geben darf. Angeführt von Ray Winstone und Ben Drew, ist die Truppe einer Bankräuber-Bande auf der Spur, die ebenfalls kaum Gefangene macht. Cops vs. Robbers in einer rechtsfreien Zerstörungsschneise...und nur die Party-pupsenden "Internal Affairs"-Aufpasser treten auf die Testosteron-Bremse.

The Crime ist eigentlich kein Film, den man gut finden darf, doch genau so ist es dann (leider?). Der Reboot der siebziger-Jahre-Krimiserie Die Füchse kommt nämlich erfrischend unprätentiös, spart sich knirschende Expendables-Zwinkereien und randaliert ganz ähnlich wie seine Protagonisten. Also laut, fluchend, direkt und brutal. Was dann letztendlich auf eine erstaunlich stimmig tarierte Mischung aus Stil, Druck und Bodenständigkeit hinausläuft.

Regisseur Nick Love (The Firm) hat mit The Crime einen großen Schritt nach vorne getan. Besonders deutlich wird das bei der zentralen Actionszene, einem wahrlich kinetischen Shootout nach einem Bankraub, der tatsächlich NICHT zittrige Filterorgien und hysterisches SloMo-Gepose zeigt, sondern einfach nur durchlädt und mit kühler Dynamik Schweißperlen erzeugt. Konsequentes, souveränes Jungskino eben. Ganz so wie man es nach Heat gerne viel öfter gesehen hätte.

The Crime kann mit einem samstäglichen 4:0 im Fußballstadion verglichen werden. Man steht in der Fankurve, bekommt von links einen Ellbogen und von oben einen Schwall Bier rein, und ist sowohl trotzdem als auch genau deswegen vollkommen elektrisiert. Ein Baum von einem Film, ein echter Harry Callahan. Wenn einem das nächste Mal einer krumm kommt, postiert man sich in Leckreichweite der gegnerischen Nüstern und atmet kalten Bierhauch. Ganz so wie es Ray Winstone alle 10 Minuten vorlebt. Mann, was für ein M-A-N-N!

(Martin Beck)

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Eine glorreiche Kulisse gab es für den Eröffnungsfilm des 65. Locarno Filmfestivals. Mitten in der Altstadt auf dem großen Platz, eine riesige Leinwand und links die Berge, in denen pünktlich zu Beginn der Veranstaltung Feuerwerk gezündet wurde. Gefeiert wurde aber nicht Nick Loves Film The Sweeney, sondern der Schweizer Nationalfeiertag. Die Stimme und die Umgebung waren sehr gut. Der Film leider nicht. Ein bisschen verwundert es schon, dass dieser Film ein Festival eröffnet, das ansonsten so viele eklektische Perlen im Programm versteckt. Man munkelte, der Film wäre auf diesem prominenten Platz gelandet, weil er laut genug wäre um gegen das Feuerwerk anzukommen.

Und laut ist The Sweeney auf jeden Fall. Regisseur Nick Love hat hier Recycling vom Feinsten betrieben und eine alte englische Fernsehserie aus den 1970er Jahren aufpoliert und den ewig grummelnden und böse dreinblickenden Ray Winstone mit der Hauptrolle besetzt. Die Geschichte ist nicht allzu kompliziert. Jack Regan (Ray Winstone) ist ein Polizist der alten Sorte. Er ist grundsätzlich gegen alles was seine Chefs ihm sagen, seine Methoden sind sehr eigen, meist hochgradig gewalttätig, er folgt nur seinen Instinkten und sein Team liebt die von ihm unterstützte Anarchie. Aber das ist total in Ordnung, denn ihre Aufklärungsrate ist hoch, wenn auch das Budget für die geschrotteten Autos höher ist. Eine solche Abteilung innerhalb der Polizei, vor allem der englischen, hätte in der Realität überhaupt keinen Platz.

Doch darum geht es hier auch nicht, The Sweeney ist nichts anderes, als eine Kleinjungenfantasie. Würde man den frühen Guy Ritchie mit der geleckten Ästhetik Michael Bays (abzüglich der Bomben und Explosionen) verbinden und auch die Geschichte und die Charaktere einschließlich ihrer psychologischen Tiefe auf Michael Bays Niveau herunterholen, dann hätte man Nick Love. Zugegeben, er lässt East London aussehen wie New York in seinen besten Zeiten. Seine Bilder sind hochglanzpoliert. Doch genau hier liegt das Problem, es geht eben nur um die Oberfläche und diese ist zwar hübsch, aber strotzt nur so vor Klischees und infantilem Denken.

Natürlich muss der grummelige Cop in Leder herumrennen und viel jüngere, gut aussehende Frauen sexuell beglücken, während er quasi nebenbei seine Fälle löst. Überhaupt gibt es in diesem Film nur viele blendend aussehende Frauen, die aber nie über mehr als 2-3 Sätze hinauskommen und auch versehentlich mal erschossen werden, was niemanden so wirklich zu stören scheint. Denn es geht hier vor allem um die Jungs. Doch auch die sind nur Stereotypen: die anarchistische Vaterfigur, der junge Wilde etc. Weder verankert Love seine Figuren mit irgendeiner Art von Hintergrundwissen oder Geschichte, noch erlaubt er ihnen sich innerhalb des Filmes zu entwickeln.

So bleibt The Sweeney hübsch anzusehen aber von der ersten Minute an durchschaubar, da er die Genreregeln nur herunterdekliniert, anstatt sie kreativ zu verarbeiten. Genau das lässt den Film am Ende ein wenig dümmlich und altbacken erscheinen und letztendlich, trotz aller glatt gebügelten Bilder, langweilen.

(Festivalkritik Locarno 2012, Beatrice Behn)

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-crime