Berberian Sound Studio (2012)

Giallo im Quadrat – ein Film als unlösbares Enigma

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Schüchtern und stoisch ist Gilderoy (Toby Jones) als er in Italien einen Job als Tontechniker in einer Filmproduktionsfirma annimmt. "Typisch" englisch empfinden das seine genauso "typischen" italienischen Kollegen, die mit seiner Korrektheit und seinem unterkühlten Wesen gar nichts anfangen können. Doch Gilderoy ist einer der Besten seines Fachs. Worauf er sich hier aber eingelassen hat, war ihm wohl nicht ganz klar, denn das Studio für das er arbeitet, produziert Giallo-Filme.

Was ein Giallo ist, dass erfährt das stille Muttersöhnchen gleich am ersten Tag: Das Subgenre ist eine Mischung aus Hitchcockschem Thriller, einem guten Schuss Mystery und als Sahnehäubchen gibt es noch ein paar Streusel Erotik und schreiende Frauen oben drauf. Seine Wurzeln hat das Subgenre in der Literatur – kleine billige Heftchen mit gelbem Einband (daher der Name, denn "giallo" ist das italienische Wort für "gelb") waren es damals, die im Italien der 50er und 60er Jahre große Beliebtheit erfuhren und in den 70er Jahren, in denen auch Berberian Sound Studio spielt, ins Kino übertragen wurden. Also quasi ein Bryan Edgar Wallace Film (Dario Argento, der Großmeister des Giallo verfilmte gleich zwei Romane des Schriftstellers und Sohnes von Edgar Wallace), nur mit opernhafter Attitüde und der unbändigen Lust, Unmengen an Blut zu zeigen.

Doch Regisseur Peter Strickland (Katalin Varga) arbeitet sich hier nicht an einem in Vergessenheit geratenen Genre ab, das gerade durch Filme wie Amer und Masks wieder ins kollektive cineastische Gedächtnis zurückgeholt wird. Vielmehr nimmt er es als Ausgangspunkt, um einen unglaublich vielschichtigen, atmosphärisch dichten und mehrmals in Zeit und Raum gefalteten Film zu entwickeln, in dem die eigentliche Geschichte die wenigsten Anhaltspunkte gibt. Seine audio-visuelle Ebene aber tritt tief ins Unterbewusstsein ein und ruft dort nicht nur Schaudern, sondern auch ein ganz eigenartiges Gefühl von emotionalem Verständnis des Werkes hervor. Berberian Sound Studio ist eher eine sinnliche als eine rationale Erfahrung, man kann diesen Film kaum verstehen, sondern muss ihn vielmehr empfinden und spüren, irgendwo tief drinnen in den Eingeweiden. Der Film ist ein einziges Rätsel, ein Film im Film, dessen Handlungsstränge sich permanent und bis zur Unkenntlichkeit überlagern und ein stringentes Erzählen somit gezielt unterlaufen. Ähnliche Überlagerungstaktiken benutzt Strickland, wenn er seine Tonspuren über Bilder legt, die damit eigentlich nichts zu tun haben.

Aus dieser Asynchronität ergibt sich eine neue Sichtweise, die, sobald man sich auf diesen Film einlässt, alsbald eine funkelnde Kette von eigenartigen Assoziationen hervorruft, welche den Genuss dieses Filmes wohl für jeden Zuschauer sehr individuell gestalten wird. Oder anders gesagt: Berberian Sound Studio ist ein Mind-Fuck erster Klasse; es ist unmöglich sich oder den Film in irgendeiner Weise zu verorten. Man wird genau wie die Hauptfigur in einen Strudel aus Wahnsinn, Geräuschen und Angst gerissen, an deren Ende nur eine große Frage steht: Wer ist hier verrückt geworden? Der Regisseur, die Hauptfigur oder der Zuschauer? Oder vielleicht alle zusammen?

Diese Strategie macht den Film zu einem dieser Werke, die man entweder lieben oder schrecklich finden wird, je nachdem, ob es gelingt einzutauchen oder nicht. Streckenweise verliert Strickland sich zu sehr in Wiederholungen, zu flachen Charakteren und kulturellen Klischees, doch insgesamt bleibt Berberian Sound Studio ein solider Film, der vor allem große Sympathien bei Zuschauern entwickeln wird, die schwieriges und verstörendes Kino als Genuss empfinden.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/berberian-sound-studio-2012