Turning

Alles dreht sich

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

2006 taten sich zwei sehr spezielle Künstler zusammen, um ein Projekt – halb Performance, halb Konzert in die Wege zu leiten, das es so noch nie gegeben hatte. Antony Hegarty, der Sänger der Antony & The Johnsons und Charles Atlas, Videokünstler und Performancekünstler erschufen Turning, die gleichnamige Dokumentation, ebenfalls von Hegarty und Atlas gemacht, ist ein Komplimentärprodukt, welches projektbegleitend entstand. Der Grundsatz von Turning ist einfach erklärt. Es gibt dreizehn Songs, die Antony mit einem kleinen Kammerorchester mit Klavier, Cello, Geigen und akustischen Gitarren zum Besten gibt. Die Songs sind, ganz der Tradition Antony & The Johnsons entsprechend, alle durchweg melancholische Balladen, die voll und ganz auf der sehr speziellen, melodischen Stimme des Sängers basieren. Dies ist der Hauptteil von Turning und damit auch der Fokus des Dokumentarfilms. Kurzum, wer solche Art von Musik nicht leiden mag, sollte diesen Film nicht sehen.
Der eigentliche Kern des Performanceprojektes ist, neben der Musik, eine kleine drehbare Bühne. Auf dieser steht für jeden der 13 Songs auch eine von dreizehn Frauen. Wobei es hier klar darum geht das Genderkonzept „Frau“ in gänzlich neuen Wegen zu ergründen. Denn keine der dreizehn Personen erfüllt das Klischeebild einer "Frau". Manche sind transsexuell, manche androgyn, einige sind lesbisch, bisexuell, zwischen den Geschlechtern – egal wie, sie stellen eine Vielzahl von Variationen dar und sollen so das Konzept aufweichen und zum Überdenken anregen.

Die Künstlerinnen stehen während der Songperformance auf der Drehplattform und werden vom Videokünstler Charles Atlas live auf eine große Leinwand projiziert, auf der ihr Bild mit verschiedenen Effekten und Überlagerungen gezeigt wird. Die Dokumentation fährt zweigleisig, einerseits zeigt sie große Teile der Musikaufführung und erlaubt sich die Geduld und den Platz ganze Lieder aufführen zu lassen ohne abzubrechen, andererseits versucht sie aber auch die Protagonistinnen vorzustellen.

Dabei pickt sie ganz klassisch die Menschen mit den interessantesten Geschichten und Hintergründen heraus: das lesbische Mädchen, das einen Penis wollte, da ihre Neigungen sonst nicht in ihr heteronormatives Weltbild passen, der/die verrückte ältere Designer/in, der/die weder Mann noch Frau sein will und alle Freunde während der Aidskrise in den 1990ern verlor etc.

Wenn man an Turning als Dokumentarfilm interessiert ist, sind dies sicherlich die interessanteren Momente des Filmes. Doch leider konnte sich der Filmemacher nicht entscheiden. Ist die Doku ein klassischer „hinter den Kulissen“ Konzertfilm oder versucht er die ProtagonistInnen und die damit verbundene Thematik vorzustellen. Am Ende gelingt beides nicht, für Musikliebhaber wird es zu wenig Musik sein, alle anderen wird es irgendwann schwer nerven wie generisch die Interviews geführt wurden. Immer die gleichen Fragen führen eben auch zu immer den gleichen Arten von Antworten. So erfährt man einige Details aus den durchaus interessanten Leben der FrauendarstellerInnen, doch diese bleiben flach und brechen immer dann ab, wenn man als Zuschauer Interesse und Empathie mit ihnen entwickelt.

So dümpelt der Film letztendlich immer an der Oberfläche und verkommt damit zu einem lakonischen, unentschiedenen Produkt, welches die Unachtsamkeit über die Vielfältigkeit von Lebensformen anprangert, ihnen aber letztendlich doch auch keinen Platz gibt sich zu zeigen. Viel lieber singt man hier ein Lied darüber, wie doof doch alles ist und dass es besser werden muss. Es wäre für das Projekt bestimmt besser gewesen, hätte es sich klarer positioniert und wäre der Filmemacher nicht so weit in das Objekt seiner Begierde – die Performance – integriert gewesen. Ein objektiver Abstand hätte gut getan. So dreht sich Turning am Ende doch nur um sich selbst.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/turning