Quartett (2012)

Von alternden Diven und Klarinettisten

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

"Old age ain't no place for sissies" ist das Lieblingszitat der zerstreuten Sängerin Cissy (Pauline Collins). Es stammt von Bette Davis, aber alle Bewohner der Seniorenresidenz Beecham House würden ihm wohl zustimmen. Das Haus in idyllischer englischer Landschaft beherbergt betagte Opernsänger und Musiker. Sie alle hängen alten glanzvollen Zeiten nach, leben aber weiterhin mit ihrer Leidenschaft für Musik – wenngleich manche schmerzvoll akzeptieren müssen, dass sie vergangene Leistungen nicht mehr erbringen können. Aber Musik ist – wie man so schön sagt – ihr Leben.

In seinem Regiedebüt Quartett erzählt der 75-jährige Dustin Hoffman unaufgeregt und mit altmodischem Charme von den Bewohnern von Beecham House – einer Einrichtung, die von der "Casa Verdi" in Mailand, die Guiseppe Verdi selbst als Altersheim für Musiker gestiftet hat, inspiriert wurde. Alljährlicher Höhepunkt ist daher das Konzert zu Ehren Verdis, mit dem zugleich das finanzielle Überleben von Beecham House sichergestellt werden soll. Die Bewohner stecken mitten in den Vorbereitungen, als sich ein neuer Gast ankündigt: Die gefeierte Opernsängerin Jean Horton (Maggie Smith) zieht nach Beecham House. Eine Ehre für die Seniorenresidenz – und ein Schock für den ruhigen Reggie (Tom Courtenay). Einst war er mit Jean verheiratet, und sie hat sein Herz gebrochen. Deshalb will er den erneuten Kontakt zu ihr weitgehend unterbinden, doch der exzentrische Regisseur der Verdi-Gala (großartig: Michael Gambon) hat die Idee, einen Moment der Musikgeschichte zu wiederholen. Mit einer Aufnahme von Verdis "Rigoletto" und insbesondere dem Quartett "Bella figlia dell amore" sind Jean, Cissy, Reggie sowie Wilf (Billy Connolly) berühmt geworden. Nun sollen sie abermals zusammen auftreten. Es gibt nur einen Haken: Jean hat sich längst von der Bühne verabschiedet und muss erst überzeugt werden, dass auch das Alter schöne Seiten haben kann.

Offensichtlich haben Filmemacher das Thema Leben im Alter für sich entdeckt. Nachdem in Und wenn wir alle zusammenziehen? eine Senioren-WG im Mittelpunkt stand und in Best Exotic Marigold Hotel Indien als Altersparadies winkte, widmet sich Dustin Hoffman nun einer Seniorenresidenz für Musiker. Ähnlich wie Stéphane Robelin und John Madden blickt er mit einem Augenzwinkern auf die Mühen des Alters und verbindet ernste mit humorvollen Szenen. Allerdings konzentriert sich das Drehbuch auf das Leben der Bewohner in Beecham House und dadurch fehlt der biographische Hintergrund der vier Hauptfiguren. Losgelöst von ihrer Vergangenheit und ihrem Leben vor dem Alter sind ihre Probleme und Schwierigkeiten nicht immer nachzuvollziehen. Dabei fehlt insbesondere die Einbindung ihrer musikalischen Karrieren.

Außerdem fällt mit zunehmender Dauer des Films auf, dass die Hauptrollen zwar mit hervorragenden Schauspielern, aber keinen Musikern besetzt sind. Pauline Collins („Ich sehe den Mann Deiner Träume) ist herrlich als zerstreute und herzensgute Cissy, Billy Conolly überzeugt als notorischer, in die Jahre gekommener Charmeur, Tom Courtenay spielt nuanciert und zurückgenommen, Maggie Smith ist imposant und zweifelnd – dennoch fehlen im dramaturgischen Gefüge und insbesondere am Ende Szenen, in denen sie tatsächlich singen. Gerade im Vergleich zu den Nebenrollen, die überwiegend mit Musikern besetzt sind, wird dieses Fehlen sehr deutlich. Wenn Gwyneth Jones als Ann Langley (und Jeans Hauptkonkurrentin) schließlich auf der Bühne steht und singt, ist das der eigentliche Höhepunkt des Films. Sie lässt erkennen, dass es letztlich um den Gesang und nicht den Ruhm geht. Daneben sind es vor allem die kleinen Momente, die Einblicke in das Leben von alternden Berufsmusikern erlauben und für gefühlvolle Szenen sorgen. Im Gegensatz zu vielen anderen Berufen müssen sie nicht aufhören zu arbeiten, aber ihr Körper setzt ihnen Grenzen. Und wenn dem Klarinettisten Olly Fisher – gespielt von Colin Bradbury – allmählich die Luft ausgeht, ist es eine kurze Beobachtung, die aber sehr deutlich macht, was Musik für die Bewohner bedeutet – und die letztlich von Quartett in Erinnerung bleibt.

Von Rap über Jazz bis zu Swing und Oper finden die verschiedensten Musikstile Eingang in den Film, die vor allem dadurch verbunden werden, dass sie Leidenschaften und Gefühle ausdrücken. Dennoch sind es Emotionen, die dem Film mitunter fehlen. Dazu kommt ein in weiten Teilen vorhersehbarer Plot, der keine tatsächlichen Verwicklungen beinhaltet. Dass Quartett dennoch unterhaltsam und sehenswert ist, verdankt er daher neben den kleinen Momenten dem großartigen Cast. Und so ist Quartett trotz seines Plots vor allem ein Schauspieler-Film, in dem Dustin Hoffmann Maggie Smith, Pauline Collins, Tom Courtenay und Billy Connolly die Gelegenheit gibt, ihre Klasse nochmals unter Beweis zu stellen.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/quartett-2012