Steve Jobs - The Lost Interview

Eine historische Momentaufnahme

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Beinahe ein Jahr ist es nun her, dass Steve Jobs, der Gründer von Apple, dem mittlerweile wertvollsten Unternehmen der Welt, am 5. Oktober 2011 an den Folgen seiner Krebserkrankung verstarb. Und es war angesichts der Popularität des iGenius nur eine Frage der Zeit, wann sich das Kino mit diesem schon zu Lebzeiten legendären Unternehmer beschäftigen würde. Wer nun allerdings mit einem ausgefeilten Dokumentarfilm oder gar einem Spielfilm (The Social Network lässt grüßen) über Jobs gerechnet hatte, sieht sich – zumindest vorerst – getäuscht. Denn das erste Werk über den Mann hinter dem iPhone und dem iPod ist so unspektakulär, dass man sich angesichts der Bedeutung des Mannes schon ein wenig wundert. Steve Jobs – The Lost Interview ist, wenn man so will, weniger als Film interessant, sondern in erster Linie als historisches Dokument, dessen Wert vor allem durch seine Seltenheit entsteht.
Es war im Jahre 1995, als Bob Cringley an einer TV-Serie mit dem bezeichnenden Titel Triumph of the Nerds über die Geschichte des Computers arbeitete. Im Rahmen der Gespräche, die er dafür führte, entstand auch das Interview mit Steve Jobs, der rund zehn Jahre vor dem Gespräch Apple im Streit verlassen hatte. 1986 hatte Jobs das Computerunternehmen NeXT gegründet, dessen Workstations den anderen Rechnern ihrer Zeit technisch weit voraus waren. Zur gleichen Zeit hatte der Gründer von Apple gemeinsam mit anderen Entrepreneuren einiges an Geld in ein damals noch unbekanntes Unternehmen namens Pixar gesteckt, das just im Jahr des Interviews seinen ersten Streich auf die Kinoleinwände loslassen sollte – Toy Story, mit dem der Siegeszug des computeranimierten Trickfilms begann. Dies alles bildet den unsichtbaren Hintergrund, die Backstory zu diesem Interview.

Für die TV-Ausstrahlung wurde schließlich nur ein Bruchteil des gesamten Gesprächs verwendet, der Rest, das Master-Tape, galt als verschollen, bis der Regisseur Paul Sen eine VHS-Kopie des Interviews in seiner Garage fand. Eigentlich wäre dies kein sonderlich bedeutender Fund gewesen – hätte dieser freundliche Hippie mit den wirren Haaren und der runden Brille nicht in den seitdem vergangenen 17 Jahren die Welt mit seinen Erfindungen grundlegend verändert.

In dem Interview, das mit starrer Kamera gefilmt wurde und bei dem Cringleys Fragen aus dem Off zu hören sind, sehen wir einen noch jungen und sichtlich entspannten Steve Jobs, der munter aus seinen Anfängen plaudert, anschaulich von der PC-Steinzeit berichtet, Einblicke in die Arbeit von NeXT gibt und Zukunftsszenarien entwickelt. Dies alles ist vor allem für Apple-Jünger und IT-Historiker spannend und anregend, während man ohne Affinität und Vorkenntnisse zur Person von Jobs und seinen Leistungen nur recht wenig Vergnügen an den Ausführungen des IT-Pioniers hat.

Filmisch lässt sich der Mitschnitt eines TV-Interviews sowieso kaum beurteilen – und wenn doch, dann kommt man nicht umhin, hier in erster Linie über die Dürftigkeit des Materials zu sprechen. Die Bildqualität ist aufgrund des Trägermediums ziemlich unteriridisch und von einer Gestaltung fehlt sowieso jede Spur. Auch inhaltlich gibt das Interview aus heutiger Sicht nicht sehr viel her. 15 Jahre sind in der Entwicklung von Soft- und Hardware beinahe schon mit einem Jahrtausend gleichzusetzen. Der Zeitpunkt, zu dem das Interview geführt wurde, war vor der Explosion des Internet. Damals begann das World Wide Web sich gerade erst langsam zu etablieren und Fragen wie "Warten wir mal ab, ob sich das durchsetzen kann", über die wir heute milde lächeln, waren zu jener Zeit durchaus berechtigt. Heute sind viele der Fragen, die Jobs anschneidet redundant bzw. haben sich von selbst beantwortet. Das Besondere an dem Film liegt demnach vor allem einerseits in der Persönlichkeit Steve Jobs, deren Charisma man deutlich spürt. Nur ehrlich gesagt: Ist das nicht seit Jahren sowieso hinreichend bekannt, dass der Apple-Gründer für die Computerbranche eine Jahrhundertgestalt war? Der zweite Faktor, der das Besondere dieses Interviews ausmacht, ist aber vor allem sein Seltenheitswert. Denn so präsent Jobs auch war, so zurückgezogen lebte er andererseits – eine Facette seiner Persönlichkeit, die man allzu schnell vergisst. Dieses Gespräch lebt also vor allem von seiner Seltenheit und unter Umständen noch von dem Fakt, dass es die Zeit vor dem endgültigen Siegeszug des Internet mit all seinen Folgen aus der Sicht eines Visionärs und absoluten Insiders beschreibt.

Und so ist dieses verloren geglaubte und nun wiederentdeckte Interview mit dem iGenius vor allem als historisches Material, als Museumsstück gewissermaßen interessant – und beschreibt damit so ganz nebenbei eine der Aufgaben des Kinos, die heute allzu gerne vergessen wird, in der aber vielleicht in Zukunft eine seiner Hauptaufgaben liegen könnte: Als Raum des kollektiven Erinnerns, als Museum der Bilder, als konservatorischer Ort, an dem die Historizität der bewegten Bilder wieder zum Leben erwachen kann. Ob dies alles das Überleben des bedrohten Kinos sichert, ist ungewiss. Andererseits sollte man nur aus mangelnden ökonomischen Perspektiven auch diese andere, konservatorische Aufgabe des Mediums nicht in Vergessenheit geraten lassen.

Insofern wird dieser Film zwar mit Sicherheit kein Kinoerfolg werden (selbst wenn alle Apple-Jünger weltweit plötzlich von einer unstillbaren Sehnnsucht nach den Worten des Großen Vorsitzenden gepackt würden), aber zumindest wird so ein klein wenig deutlicher, warum es Steve Jobs – The Lost Interview erstaunlicherweise in eine Handvoll ausgesuchter Kinos geschafft hat: Als Dokument einer Zeit und einer technologischen und gesellschaftlichen Entwicklung, die noch lange nicht abgeschlossen ist. Für den noch zu erwartenden Film, der der Person von Steve Jobs und ihrer Bedeutung gerecht wird, bilden diese 67 Minuten allenfalls die Begleitmusik oder den Bonus-Track. Freuen wir uns also auf die Filme, die noch kommen über den Gründer von Apple; wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf, befinden sich mindestens zwei in der Pipeline der Hollywood-Studios.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/steve-jobs-the-lost-interview