Harodim - Nichts als die Wahrheit?

Paranoide Verschwörungstheorien und Medienkritik

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Auf den ersten Blick sieht alles ganz einfach aus: Der Ex-NavySeal Lazarus Fell (Travis Fimmel) hat seinen eigenen Tod fingiert, Frau und Sohn zurückgelassen und zehn Jahre seines Lebens damit verbracht, den Drahtzieher der Anschläge auf das World Trade Center ausfindig zu machen. Damals verlor er seinen Vater Solomon (Peter Fonda), einen hochrangigen Mitarbeiter des Geheimdienstes. Nun ist er am Ziel: In Wien hat er den gefährlichsten Terroristen (Michael Desante) der Welt aufgespürt und in ein Versteck in einem alten Bahnhof verschleppt. Angesicht zu Angesicht sitzt er ihm nun gegenüber. Er will endlich Antworten auf seine Fragen – und Rache.
Doch das Verhör nimmt eine unerwartete Wendung: Statt Antworten erhält Lazarus eine neue Version der Ereignisse der letzten Jahre. Der Terrorist – ein eleganter Mann mittleren Alters, der seine Darstellung als bärtiger Fundamentalist als Teil einer Inszenierung bezeichnet – erzählt ihm, dass al-Qaida einst in Zusammenarbeit mit der CIA als Netzwerk gegründet wurde und das Vakuum nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion füllen sollte. Längst sei sie Teil einer internationalen Geheimgesellschaft, die die Macht übernehmen wolle. Deshalb habe sie die Weltfinanz bereits in den Händen und die Spitze der US-Regierung infiltriert. Und auch der bisher ahnungslose Lazarus spiele – getreu seiner Namensgebung als der Wiedererweckte – in ihren Plänen eine wichtige Rolle.

In seinem Thriller Harodim – Nichts als die Wahrheit? präsentiert Regisseur und Drehbuchautor Paul Finelli ein Konglomerat an Verschwörungstheorien, deren einzelne Bestandteile nicht neu sind: Die CIA wusste von den Anschlägen auf das World Trade Center 1993, die USS Cole, die Botschaften in Nairobi und Tansania und des 11. September; womöglich sind gar keine Passagierflugzeuge in das World Trade Center geflogen; mit dem Krieg gegen den Irak sollte ein neuer Schurkenstaat geschaffen werden – und als dieser Plan misslang, wurde der Krieg gegen den Terrorismus erfunden. Das sind alles keine brisanten Enthüllungen, dennoch entwickelt der Film durch seinen Inszenierungsstil einen Sog: Lazarus und der Terrorist befinden sich in einem Raum, sitzen sich die meiste Zeit gegenüber und der Terrorist spricht. In seine Ausführungen streut Finelli bekannte Nachrichtenbilder ein, die das Gesagte unterstützen und die bisherige Wahrnehmung dieser Ereignisse als eine mögliche Deutung entlarven. Hinzu kommen Erinnerungsfetzen von Lazarus sowie Aufnahmen von bekannten doppeldeutigen Symbolen wie das Auge am Kopf der Pyramide auf dem Dollarschein. Diese eingeschnittenen, kurzen Bilder bekräftigen die Worte des Terroristen, der zudem bekannte überprüfbare Fakten liefert: das Manöver am 11. September, das den Einsatz von Kampfjets verhinderte, oder auch der Befehl des Vizepräsidenten, dass kein Flugzeug starten dürfe. Darüber hinaus ist Michael Desante als Terrorist kein bärtiger Bösewicht in einer Höhle in Pakistan, sondern ein weltgewandter und höflicher Mann im Anzug, der wohl artikuliert und überlegt spricht. Dadurch drängt sich unweigerlich die Frage auf, was wäre, wenn so das "wahre" Gesicht von Osama bin Laden ausgesehen hätte? Wäre er immer noch als der personifizierte Böse wahrgenommen worden?

Sofern man also gewillt ist, sich auf diese Deutung der Ereignisse einzulassen – und damit ist nicht gemeint, dass man sie als Wahrheit akzeptiere – bietet der Film ein anderes Szenario des Schreckens, für das es Anhaltspunkte in der Realität gibt. Wenn der Terrorist über die Finanzmärkte sagt, sie lenkten eigentlich die Geschicke der Staaten, ist ihm angesichts der Entwicklung der letzten Jahre durchaus zuzustimmen. Auch die Beobachtung, dass die Angst umso größer, je unbekannter die Gefahr ist, und der Mensch daher bereit ist, auf grundlegende Rechte zur Erhöhung der Sicherheit zu verzichten, deckt sich mit der Wirklichkeit. Diese Gedanken werden nun weiter gesponnen: Was wäre also, wenn es tatsächlich eine Geheimgesellschaft gebe, die diese Entwicklung beeinflusst und gleich der Harodim – einer Gruppe von Elitesoldaten, die in der Mythologie der Freimaurer den Bau von König Salomons(!) Tempel überwachten und in der Bruderschaft die "Neu-Iniitierten" bezeichnet – eine neue Weltordnung vorbereiteten?

Leider übertreibt es Paul Finelli im letzten Drittel seines Films mit der Symbolik und dem Geheimnisvollen der Bruderschaften, so dass die psychologische Spannung des Kammerspiels zugunsten der Paranoia eines Verschwörungsthrillers vernachlässigt wird. Aber sein Film bleibt eine Einladung, ein Denken jenseits der von den Medien verbreiteten Ansichten zuzulassen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/harodim-nichts-als-die-wahrheit