Un amour de jeunesse

Virus im Herz

Eine Filmkritik von Martin Gobbin

"Du bist in mir wie eine Krankheit". Die Krankheit, von der die Schülerin Camille (Lola Créton) spricht, ist eine chronische – eine, die Körper und Seele schwer in Mitleidenschaft zieht. Es ist die Liebe, die unerfüllte. Der Erreger heißt Sullivan (Sebastian Urzendowsky). Die Symptome, die er hervorruft, führen bis in die Depression.
Un amour de jeunesse von Mia Hansen-Løve erzählt von der Jugendliebe zweier Menschen, die trotz ihrer weitgehenden Inkompatibilität immer wieder magisch voneinander angezogen werden. Vor allem aber erforscht der Film, wie Liebe uns prägt, verändert, abhängig macht. Welche Macht wir also jenen geben, die wir lieben – und wie wehrlos wir diesem Kontrollverlust ausgesetzt sind.

Camille und Sullivan streiten sich viel, denn sie haben ganz unterschiedliche Vorstellungen von ihrer Beziehung. Sie will symbiotische Nähe, Eins-sein, das Ich aufgeben – er braucht Freiheit, Abstand, will er selbst bleiben. Diese Rollenvorstellungen wirken ein wenig klischeehaft, doch Mia Hansen-Løve (Der Vater meiner Kinder) scheint es ohnehin weniger um die konkrete Geschichte, den Einzelfall, zu gehen, als um die Ohnmacht des rationalen Menschen gegenüber seinen Gefühlen.

Camille ist geradezu süchtig nach Sullivan. Wenn sie ihm gesteht "Ich kann nicht ohne dich leben", ist das einerseits Ausdruck übersteigerter Liebesideale des Teenageralters – andererseits aber auch schlichtweg wahr. Als Sullivan für längere Zeit nach Südamerika geht und Camille irgendwann keine Briefe mehr von ihm erhält, hat sie so starke Entzugserscheinungen, dass sie versucht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Dieses dramatische Ereignis inszeniert der Film mit betontem Understatement, auf die Affekthascherei gefühlsduseliger Filme lässt sich Un amour de jeunesse nie ein.

Jahre später: Camille studiert Architektur, führt eine erfüllende Beziehung mit einem Professor und hat Sullivan seit seiner Abreise nie wieder gesehen. Doch vergessen hat sie ihn nicht, das Virus schlummert nur in ihr. Als Sullivan zufällig wieder in ihr Leben tritt, verfällt Camille ihrer Jugendliebe erneut. Bereitwillig riskiert sie für ihn ihre stabile Existenz. Die Krankheit bricht wieder aus.

Zum zweiten Mal lässt sich Camille bereitwillig in ihre allumfassende Liebe fallen, zum zweiten Mal reißt Sullivan ihr das Netz fort. Ob er verantwortungslose Machtspiele treibt, wenn er versucht, Camille aus ihrer festen Beziehung zu ihrem Professor loszueisen – oder ob er sie tatsächlich liebt, aber von seiner Bindungsunfähigkeit sabotiert wird, beantwortet der Filme nie eindeutig. Viel mehr geht es Mia Hansen-Løve um die Weichenstellung der ersten Liebe – darum, wie sie sich tief in unsere Erinnerungen einnistet und unser späteres Verhalten beeinflusst.

Un amour de jeunesse ist nicht ohne Schwächen. Der Film gefällt sich ein wenig zu sehr in seinem Minimalismus angesichts hochemotionaler Momente. Auch agiert Hansen-Løve an manchen Stellen ungeschickt – so zum Beispiel bei der visuellen Vermittlung zeitlicher Sprünge, der symbolischen Bebilderung von Beziehungsstreitigkeiten und dem ebenso plötzlichen wie uninspirierten Ende.

Solche marginalen Defizite sind allerdings verzeihlich angesichts der Tiefgründigkeit, mit welcher der Film die nicht zu bändigende, höchst ambivalente Macht der Liebe untersucht. Zudem gelingt es der dänischen Regisseurin, sich von den Klischees des Arthouse-Kinos zu befreien, die sie in einer Szene mit einem Seitenhieb kommentiert. Der mit schnellen Schnitten, kurzen Einstellungen und viel Dynamik arbeitende Film verweigert sich den Konventionen des Kunstkinos und wird gerade dadurch zu einem souveränen Autorenfilm.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/un-amour-de-jeunesse