Zwei Leben (2012)

Zwischen den Stühlen von Verbrecherregimen

Eine Filmkritik von Silvia Bahl

Auf eindringliche Weise verbindet die deutsch-norwegische Koproduktion Zwei Leben Elemente des Spionagefilms mit einem dunklen Kapitel europäischer Geschichte: die der "Lebensborn"-Heime der SS, in denen Kinder der Besatzer mit norwegischen Frauen, die sogenannten "Tyskerbarn" aufwuchsen, herangezogen unter einer wahnwitzigen Rassenideologie. Komplex und spannungsvoll rollt Regisseur Georg Maas die Fäden der Vergangenheit auf und bettet in das Geflecht aus wenig beleuchteten historischen Fakten ein erstaunliches Vexierspiel um Trauma, persönliche wie nationale Identität.

Nach dem Überfall von Nazi-Deutschland auf Norwegen am 9.4.1940 wurden über eine halbe Million Soldaten der Wehrmacht dort zur Besatzung stationiert. Neben der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung zog dies noch ein anderes Verbrechen nach sich: Bereits in den 30er Jahren war in Deutschland die „Lebensborn“-Institution gegründet worden, eine Form des Kinder- und Erziehungsheims, das mit dem Auftrag nach Skandinavien exportiert wurde, dort die "arische Rasse zu veredeln". Im Laufe des Zweiten Weltkrieges wurden über 10 000 Kinder geboren, die sich aus freiwilligen oder unfreiwilligen Beziehungen norwegischer Frauen mit den Besatzern ergaben. Doch am meisten zu leiden hatten die Kinder selbst – oft wurden sie gewaltsam ihren Müttern entrissen und nach Deutschland verschleppt, nach dem Krieg wiederum waren sie Opfer von Hass- und Racheakten der Bevölkerung, die eine Hexenjagd gegen die Kollaborateurinnen und ihre Nachkommen veranlasste.

Es ist das allmähliche Aufkommen eines gerichtlichen Prozesses, das auch in Maas` Film den Stein ins Rollen bringt. Ein engagierter junger Anwalt (Ken Duken) sucht nach Betroffenen, um eine Wiedergutmachung von der norwegischen Regierung gegenüber den Opfern zu erwirken und stößt bei seinen Recherchen auf die gutbürgerliche Katrine (Juliane Köhler), die zusammen mit ihrer Familie ein bis dahin beschauliches Leben in einem Küstendorf geführt hat. Doch durch den Fall der Mauer erreichen plötzlich immer mehr Klagen von einstmals verschleppten Kindern die Öffentlichkeit, die, bis dahin im Unklaren über ihre Identität belassen, in ostdeutschen Kinderheimen aufgewachsen waren. So auch Katrine, doch der Fall liegt etwas spektakulärer: ihr gelang bereits als Jugendliche die Flucht aus der DDR nach Norwegen, was sie zur perfekten Zeugin für den Prozess macht. Doch das Aufrollen der Vergangenheit bringt eine Menge Ungereimtheiten ans Licht, mit denen Katrine lieber nicht konfrontiert gewesen wäre.

Zunächst irritiert der Handlungsstrang rund um Spionage und Kalten Krieg etwas, wirkt anfangs sogar stellenweise unbeholfen. Er stört die scheinbare Prämisse des Films, hauptsächlich ein schmerzhaftes, intimes Familiengeheimnis aufrollen zu wollen und so folgt man Juliane Köhler, die nach ihrem Auftritt als Hausfrau und Mutter plötzlich abgeklärt am Flughafen ihre Perücke aufzieht zunächst mit Skepsis, doch die Erzählstruktur der Adaption des Romans Eiszeiten zieht den Zuschauer schnell in ihren Bann. Zu ungeheuerlich ist das, was sich immer mehr aus dem Plot herauskristallisiert.

Maas ist ein dezentes und doch intensives Drama gelungen, das sehr unterschiedliche Thematiken gekonnt zusammenführt, vielleicht nicht so perfekt inszeniert, wie die vom Kontext ähnlichen Filme Barbara oder Das Leben der Anderen, aber dennoch eindringlich und sensibel.

In einer Nebenrolle ist sogar die Ingmar Bergmann-Legende Liv Ullmann zu sehen, die sich genau wie die restliche Besetzung gelungen ins Bild einfügt. So ist Zwei Leben ein leiser Film über eine doppelte nationale Schuld und ihre allmähliche, fragmentarische Aufklärung, dem man ein größeres Publikum nur wünschen kann.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/zwei-leben-2012