Nachtzug nach Lissabon

Pathetische Reise in das Land englischsprechender Portugiesen

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Eine gute Geschichte macht noch keinen guten Film. Selten war diese Wahrheit so zutreffend wie im Fall von Nachtzug nach Lissabon. Das Potential der Romanvorlage von Pascal Mercier weiß Regisseur Bille August leider kaum zu nutzen und liefert stattdessen eine Verfilmung ab, die auf ihrem Tiefpunkt gar unfreiwillige Komik entfaltet.
Dabei geben die Ereignisse von Nachtzug in Lissabon kaum Anlass zum Lachen. Der Schweizer Lehrer Raimund Gregorius (Jeremy Irons) bewahrt eine ihm unbekannte junge Frau vor dem Selbstmord und kommt hierdurch in den Besitz eines geheimnisvollen Buches sowie eines Zugtickets nach Lissabon. Kurzerhand entschließt sich Raimund diese Reise anzutreten, die unglückliche Frau wiederzufinden und mehr über den Autor des Buches, Amadeu de Prado (Jack Huston), zu erfahren. Das Leben des Portugiesen zieht den bodenständigen Lehrer mehr und mehr in ihren Bann. In Gesprächen mit den engsten Vertrauten des Autors rekonstruiert Raimund Schritt für Schritt dessen aufregende Geschichte. Aber seine Reise führt ihn nicht nur in ein fremdes Leben, sondern auch zu sich selbst.

Raimunds Reise ist grundsätzlich spannender Natur und gibt ihm und dem Zuschauer immer wieder neue Rätsel auf: Wer ist die unglückliche Frau? Wer ist Amadeu de Prado? Welche Rolle spielte er in der portugiesischen Revolution? Die Geschichte des Schriftstellers gewinnt stetig an Komplexität. Immer mehr Figuren treten auf, deren unterschiedliche Perspektiven und Schicksale Raimundo gemeinsam mit dem Publikum ergründet. Hiermit könnte der Grundstein für eine packende Handlung gelegt werden, doch die Schwächen der Inszenierung überschatten die guten Voraussetzungen.

Das Hauptproblem von Nachtzug nach Lissabon ist die Besetzung und die damit verbundene babylonische Sprachverwirrung. Jeremy Irons spielt einen Schweizer, der sich den gesamten Film über, auch in seiner Heimat, in akzentfreiem Englisch artikuliert. In Portugal trifft er auf Martina Gedeck als portugiesische Optikerin Mariana, die nicht nur mit ihm, sondern auch mit ihren Landsleuten Englisch mit portugiesischem Akzent spricht. Selbiges gilt für August Diehl und Bruno Ganz, die in verschiedenen Zeitebenen die Figur des Jorge, eines engen Freundes Amadeu de Prados spielen. Überhaupt kommunizieren in diesem Film alle Portugiesen in schlechtem Englisch. Insbesondere der deutsche Zuschauer ist durch diese Sprachpolitik verwirrt. Aber auch ohne Kenntnis der Muttersprache von Gedeck, Diehl und Ganz verliert der Film an dieser Stelle seine Überzeugungskraft und entwickelt eine beinahe schon unfreiwillige Komik. Auch Christopher Lees Auftritt als Pastor Bartolomeu, dessen Ähnlichkeit mit Saruman nicht von der Hand zu weisen ist, untergräbt die Glaubwürdigkeit der Inszenierung.

Das Voice-over, das Zeilen aus dem Werk Amadeu de Prados zitiert, entpuppt sich als dramaturgischer Fallstrick. Zwar können die Worte durchaus einen Sinn generieren und der Geschichte somit Bedeutung verleihen, doch ist dieses Element, wie so manches in Nachtzug nach Lissabon, vollkommen überinszeniert. Die gesprochenen Passagen sind zu lang, um sie als Zuschauer inhaltlich zu erfassen, und die säuselnde Filmmusik verleiht ihnen einen Pathos, der ihre Ernsthaftigkeit untergräbt. So empfinden wir auch den Verfasser nicht als bewundernswerten Schriftsteller, sondern vielmehr als sentimentalen Schöngeist. Jack Hustons aalglatte Präsenz tut dabei ihr Übriges.

Es ist bedauerlich und in gewisser Weise unverständlich, warum bei der filmischen Umsetzung des Bestsellers von Pascal Mercier nicht mehr auf die Authentizität von Figuren und Setting geachtet worden ist. Auch die Anschlussfehler – Weingläser, die je nach Kameraeinstellung unterschiedlich voll sind, etc. – vermitteln den Eindruck fehlender Gewissenhaftigkeit. Die inszenatorischen Schwächen führen in der Summe dazu, dass der Zuschauer sich weder auf Raimunds Abenteuer, noch auf die romantischen Passagen der Geschichte einlassen kann. So zieht der Film – mal mehr, mal weniger schleppend - am Publikum vorbei wie ein Nachtzug auf dem Weg in ein Land englischsprechender Portugiesen mit deutschem Migrationshintergrund.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/nachtzug-nach-lissabon