Paulette (2012)

Dealen für Fortgeschrittene

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Von 2005 bis 2012 warf die amerikanische Fernsehserie Weeds – Kleine Deals unter Nachbarn einen spannend-unterhaltsamen Blick auf das Leben einer recht unkonventionellen Drogenhändlerin: Nach dem unerwarteten Tod ihres Ehemanns beschließt eine findige Hausfrau, Marihuana zu verkaufen, um ihren anspruchsvollen Lebensstandard halten zu können, und gerät darüber in immer neue Verwicklungen. Die französische Komödie Paulette schlägt in eine ähnliche Kerbe, nimmt sich mit ihrer boshaften Protagonistin im Rentenalter vielleicht aber noch ein wenig skurriler aus.

Paulette (Bernadette Lafont) ist keine angenehme Zeitgenossin. Das macht schon der gelungene Einstieg in den Film deutlich: Nach einer verträumt-schwelgerischen Montage grobkörniger Familienvideos, die den Eindruck einer heilen Welt evozieren, begegnen wir zum ersten Mal der mittlerweile alleinstehenden Rentnerin. Während einer Beichte lässt sich Paulette über all die Probleme aus, die angeblich zu ihrem elendigen Leben in einer Sozialwohnung am Rande von Paris beigetragen haben. Dabei sind der resoluten Dame vor allem Ausländer ein Dorn im Auge. Nicht zuletzt, weil chinesische Einwanderer in ihrem früheren Konditoreigeschäft nun ein Restaurant betreiben. Auch mit ihrem dunkelhäutigen Enkel Leo (Ismaël Dramé) kann Paulette nicht viel anfangen. Das Verhältnis zu ihrer Tochter Agnès (Axelle Laffont) ist unterkühlt. Denn sie versteht bis heute nicht, warum ihr Kind ausgerechnet den afrikanisch-stämmigen Polizisten Osman (Jean-Baptiste Anoumon) heiraten musste.

Die mittellose Frau kämpft an allen Fronten und will sich partout nicht mit ihrem unwürdigen Leben abfinden. Ganz unverhofft springt Paulette das Schicksal zur Seite, als ihr ein Drogenpäckchen in den Schoß fällt, das zwei Jugendliche auf der Flucht vor der Polizei in den Müll geworfen haben. Es dauert nicht lange, und ein Plan ist gereift. Die verbitterte Dame will ins Haschisch-Geschäft einsteigen und macht den im Viertel herrschenden Dealer Vito (Paco Boublard) ausfindig. Tatsächlich kann Paulette ihn überzeugen, ihr eine Chance zu geben. Immerhin steht eine Rentnerin nicht im Fadenkreuz der Polizei. Zum Missfallen der jugendlichen Unterhändler erzielt die alte Frau recht bald anschauliche Gewinne. Um die aufkommende Konfrontation beizulegen, verbindet Paulette das neue Gewerbe kurzerhand mit ihren früheren Backkünsten und betreibt von ihrer Wohnung aus einen florierenden Handel mit Hasch-Keksen. Tatkräftige Unterstützung erhält sie dabei von ihren Freundinnen Maria (Carmen Maura), Lucienne (Dominique Lavanant) und Renée (Françoise Bertin).

Auch wenn Paulette handfeste Probleme wie Altersarmut und das angespannte Leben in französischen Vorstädten für sozialkritische Untertöne nutzt, funktioniert Jérôme Enricos zweiter Kinofilm vor allem als erfrischend unangepasste, schwarzhumorige Komödie. Was nicht zuletzt der hervorragend aufgelegten Hauptdarstellerin zu verdanken ist. Bernadette Lafont, eine prägende Ikone der Nouvelle Vague, spielt die eigentlich rundum unsympathische Paulette mit einer derart ansteckenden Leidenschaft, dass sie dem Zuschauer schon wieder ans Herz wachsen muss. Die tief sitzende Frustration über ihre missliche Lage erzeugt dann auch ein gewisses Maß an Empathie, das der Film allerdings immer wieder durch die politisch unkorrekten Aussagen und das grenzüberschreitende Verhalten der Protagonistin auf die Probe stellt. Drehbuch und Hauptdarstellerin loten den schmalen Grat zwischen anarchischem Witz und peinlichen Zoten gekonnt aus, weshalb das mitunter abgedrehte Geschehen nie in geschmacklose Gefilde abgleitet.

Die gradlinig entwickelte Geschichte weiß mit einer ganzen Reihe an herrlich skurrilen Szenen aufzuwarten. Ein Beispiel ist das eingangs erwähnte Gespräch im Beichtstuhl, bei dem die Kamera zunächst nur die über Ausländer schimpfende Paulette fixiert. Erst nach einiger Zeit erfolgt ein Schwenk, und wir erkennen, dass auf der anderen Seite ein schwarzer Priester sitzt, dem die alte Dame attestiert, dass er es verdient gehabt hätte, weiß zu sein. Ein unerhörtes, gleichzeitig aber auch abgründig-komisches Kompliment. Ähnlich bissig und amüsant sind die Szenen, in denen die Kopftuch tragende Paulette auf die finster aussehenden Drogendealer trifft oder in einer schäbigen Bahnhofsunterführung das ihr anvertraute Haschisch an den Mann zu bringen versucht.

Wie nicht anders zu erwarten ist, durchläuft die Hauptfigur eine schrittweise Wandlung. So findet Paulette ironischerweise ihre verloren gegangene Lebensfreude und Herzensgüte wieder, je tiefer sie in das kriminelle Geschäft eindringt. Nachdem sie sich entschieden hat, den konventionellen Handel gegen den Verkauf von Hasch-Keksen einzutauschen, wird ihre vormals für die meisten Menschen verschlossene Wohnung fast zu einem Ort sozialer Interaktion. Kunden aller Altersklassen und Schichten geben sich die Ehre, und auch Paulettes rüstige Freundinnen blühen als fleißige Helferinnen noch einmal auf.

Gegen Ende, als sich ein russischer Großdealer die Erfolge der Rentnerin zu Nutze machen will, nimmt die Geschichte noch einmal richtig Fahrt auf, schlägt im Übereifer jedoch ein paar Haken zu viel und läuft auf ein vielleicht etwas zu affirmatives Schlussbild hinaus. Kleinere Mängel, die dem Film allerdings keinen großen Schaden zufügen können. Es bleibt dabei: Paulette ist durchaus sehenswert!
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/paulette-2012