Unter Menschen

Zurück ins Leben?

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Es beginnt, als sei dies kein Dokumentarfilm, sondern eines jener Werke aus der Gattung Tierhorror: Ein Gang zwischen den Käfigen, dazu infernalisches Geschrei, das einem nach kurzer Zeit in den Ohren gellt, dazu Hände, die zwischen den Gitterstäben nach draußen gestreckt werden und die erschreckend menschlich aussehen. In gewisser Weise bleibt dieser Eindruck auch weiterhin bestehen, selbst als längst klargeworden ist, dass Unter Menschen nichts anderes wiedergibt als die Realität. Und die ist mitunter genauso erschreckend, wie wenn sie von einem sadistischen Drehbuchautor ersonnen worden wäre.
Über 15 Jahre lang wurden 40 Schimpansen aus Sierra Leone in einem Versuchslabor des Pharmakonzerns Immuno AG festgehalten und zu medizinischen Testversuchen missbraucht. Infiziert mit Grippe-, AIDS- und Hepatitis-Viren wurden sie illegal als Probanden für die Entwicklung von Impfstoffen benutzt und sind durch die traumatisierenden Erfahrungen hochgradig aggressiv und misstrauisch geworden. Eingepfercht in engen Käfigen, ohne Kontakt zu Artgenossen und ohne Tageslicht haben sie es am eigenen Leib erfahren, was es bedeuten kann, als schutzloses Tier "unter Menschen" zu fallen.

Zwar gab es bereits seit Österreichs Beitritt zum Internationalen Artenschutzabkommen im Jahre 1984 strikte Reglementierungen, Schimpansen als bedrohte Art von solchen Machenschaften auszunehmen, dennoch gelang es zwei Jahre später, eine illegale Lieferung von Schimpansenbabies aus Sierra Leone nach Wien zu bringen. Erst mit der Übernahme Immunos durch den US-Pharmakonzern Baxter endete die Praxis der quälenden illegalen Tierversuche. Doch damit begannen nun Probleme ganz anderer Art – wohin mit den Tieren, die von der jahrelangen Gefangenschaft gänzlich traumatisiert waren und die nun aufgrund ihrer wissentlichen und absichtlichen Infektion besonderer Pflege bedürfen?

Die beiden Dokumentarfilmer Christian Rost und Claus Strigel haben in ihrem Film Unter Menschen, dessen internationaler Titel Redemption (=Erlösung) noch treffender erscheint, die Grundzüge der Affäre, vor allem aber den schwierigen Weg der Schimpansen in eine einigermaßen würdige Existenz, nachgezeichnet. Wobei sie sich vor allem auf die "Resozialisierung" der Schimpansen konzentrieren, also jenen schwierigen Prozess der Übersiedelung in den Safaripark Gänserndorf ab dem Jahre 2001, wo unter der Leitung von Jane Goodall ein eigenes Affenhaus errichtet wurde. Doch auch diese Lösung war nur von kurzer Dauer, weil der Safaripark im Jahre 2004 Konkurs anmelden musste. Seit 2010 aber zeichnet sich mit dem Engagement des Guts Aiderbichl, einem österreichweit bekannten Gnadenhof im Bundesland Salzburg, ein guter Ausgang für die geschundenen Kreaturen ab, der Standort Gänserndorf scheint nun gesichert zu sein.

Neben den Tieren stehen vor allem die Betreuerinnen im Mittelpunkt des Interesses – zwei von ihnen kennen die Schimpansen seit ihrer Zeit im Versuchslabor von Immuno, wo sie die Tiere bereits versorgten. Gerade durch ihre Auskünfte aus jener finsteren Zeit wird aus dem Film nicht nur eine rein deskriptive Beschreibung des langen Weges zurück in ein "normales Leben" (sofern für einen Schimpansen ein Leben in Gefangenschaft überhaupt normal sein kann), sondern auch ein Film, der über Schuld und Verantwortung räsoniert und wieder einmal die Erkenntnis verfestigt, dass auch in diesem Fall die wahren Verantwortlichen wohl niemals eine Strafe für ihr illegales Tun bekommen werden.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/unter-menschen