Paradies: Hoffnung (2013)

"If you're happy and you know it, clap your fat!"

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Man kennt dieses dicke Mädchen bereits aus Paradies: Liebe, wo sie sich vor deren Abreise nach Kenia mit ihrer Mutter stritt. Nun, im dritten Teil von Ulrich Seidls Paradies-Trilogie steht Melanie (Melanie Lenz) im Mittelpunkt der Geschichte. Wir sehen sie am Anfang an der Garage stehen, wo ihre Tante (Maria Hofstätter) mit viel Getöse und Zwischengas den Kleinwagen aus der Ausfahrt bugsiert. Dann steigt Melanie ein und wird während der Ferien in ein Diät-Camp gebracht, wo sie gemeinsam mit anderen Kindern ihres Alters abnehmen soll. Gedrillt von einem erbarmungslosen Sportlehrer und einer Betreuerin versuchen sich die Mädchen und Jungen ihre kleinen Freiräume zu erkämpfen, sie brechen nachts in die Küche ein und verschleppen Fressalien – was prompt entdeckt und mit Strafmaßnahmen belegt wird.

Der einzige Hoffnungsschimmer für Melanie in dieser Landschulheim-Tristesse ist der betreuende Arzt (Joseph Lorenz), mit dem der Teenager heftig flirtet. Und der wesentlich ältere Mann nährt Hoffnungen des unbeholfenen Mädchens, um sie dann im nächsten Augenblick wieder brüsk zurückzuweisen. Bei einem nächtlichen Ausbruch mit übermäßigem Genuss von Kräuterschnaps und anschließendem Besuch einer überaus deprimierenden Tanzbar kommt es beinahe zu einer Vergewaltigung...

Wenn die Kinder wie im Gänsemarsch dem Sportlehrer hinterhertraben, wenn sie wie Mehlsäcke an der Sprossenwand hängen, wenn sie durch den Pool paddeln, kommen einem unwillkürlich Bilder in den Sinn, wie man sie bereits aus Paradies: Liebe kennt. Mit dem Unterschied, dass im ersten Teil die Geschichte in all ihrer Hoffnungslosigkeit, in der verzweifelten Suche nach Liebe irgendwie zwingender, konsequenter, bewegender war als im eher ziellosen Umherschweifen von Paradies: Hoffnung. Es mag durchaus in der Absicht Ulrich Seidls liegen, dass sich in der Geschichte der Tochter, in ihrer Schwärmerei, etwas von den Sehnsüchten der Mutter spiegelt, doch es ist wie gesagt eben nur ein schwacher Abglanz, der bei aller Vorliebe für wippendes Körperfett dieses Mal seltsam zurückgenommen und gebremst wirkt.

Vergleicht man die Einzelteile der Paradies-Trilogie miteinander, so fällt Paradies: Hoffnung gegenüber den beiden Vorgängern ab. Vielleicht liegt dies ja daran, dass man von solch einem Abschlussteil unwillkürlich ein weiteres Anziehen der Schraube erwartet – und genau das verweigert der Regisseur, indem er permanent andeutet und dann die Erwartungen des Publikums ins Leere laufen lässt. Blendet man die Teile "Liebe" und "Glaube", so bleibt ein zwar mitunter etwas zähes, dann aber wieder schlaglichtartig aufblitzendes Werk voller typischer Seidl-Bilder. Vor allem aber verschränkt der Regisseur Motive und Themen der beiden Vorgänger mit diesem Abschlussteil der Trilogie, so dass ein ganzes Geflecht von Überkreuzungen und Querverweisen entsteht, die den Wunsch erwecken, man müsste die Paradies-Trilogie nicht nacheinander, sondern gleichzeitig schauen, in Schichten übereinander gelagert, wobei bei jeder der Schein der anderen hindurchschimmert, damit sich aus dem Triptychon ein Gesamtbild ergibt, bei dem erst alle Puzzlesteine ineinandergreifen und sich zu etwas vollkommen Neuem formieren. Ob dieses Experiment gelingt, diese Frage muss freilich unbeantwortet bleiben.

Was aber sicher im Sinn bleibt von diesem Film, ist sein Schlusssong, bei dem das Publikum zumindest teilweise mitklatschte "If you're happy and you know it, clap your fat!" Man weiß nicht so recht, ob dass für die Stimmung an diesem ersten Tag des Wettbewerbs der Berlinale spricht oder für den festen Willen des Publikums, sich gerne auch mal amüsieren zu lassen – und sei es nur mit dicken Kindern und pubertärem Flaschendrehen. Die Widerhaken, die sonst die Filme Ulrich Seidls auszeichnen und die dem Zuschauer sonst gerne mal das Lachen im Hals steckenbleiben lassen, weicht hier zumindest am Ende einem kindischen Refrain und man kommt sich im Anschluss fast ein wenig beschmutzt vor, dass man sich hat auf so simple Weise einfangen lassen. Aber vielleicht war ja das genau die Absicht Seidls.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/paradies-hoffnung-2013