Dear Courtney (2013)

Als Cobain "Smells Like Teen Spirit" stahl...

Das Leben kann schon schwierig sein, wenn man 18 ist und die Frau der eigenen pubertären Träume zwei Jahre älter. Doch Paul (Jonas Nay), der in der niederrheinischen Provinz aufwächst, lässt sich von solchen Kleinigkeiten nicht entmutigen. Seit langem schon ist er rettungslos in die schöne Saskia (Sina Tkotsch) verknallt und weil sein Onkel Heinz weiß, dass Mädchen auf Rockmusiker stehen, durchläuft Paul als Autodidakt seine eigene musikalische Entwicklung von der Geige über die Wanderklampfe bis hin zur E-Gitarre. Das Liebesglück aber, dieses launische Wesen, will und will sich einfach nicht einstellen. Zumal es da noch den ungehobelten Schwermetaller Kalle (Oliver Bröcker) gibt, der ebenfalls ein Auge auf die schöne junge Frau geworfen hat. Beide entschließen sich, das Herz Saskias mit selbstgeschriebenen Songs zu gewinnen, doch während Kalles "Gesang" sich bestenfalls anhört wie das Gewinsel eines angeschossenen Straßenköters, trifft Paul mit einem Song ins Schwarze – er komponiert den Song, der später als Smells Like Teen Spirit Rockgeschichte schreiben wird. Über verzweigte Wege kommt der Song schließlich zu Geffen Records und auf das Album Nevermind.

Paul ist geschockt, denn schließlich ist das sein Song – und damit will er nun vor allem das Herz von Saskia gewinnen, die mittlerweile mit dem Lackaffen Peter Punk (Klaas Heuer-Umlauf) zusammen ist. Und der, so will es der Zufall, spielt als Vorband bei Nirvana auf deren Deutschlandtournee. Also jagt Paul, mehr oder weniger unterstützt von Kalle, quer durch das Land nicht nur der Frau seiner Träume hinterher, sondern auch seinen Rechten an dem Song, den er für Saskia schrieb. Außerdem gibt es da noch Pauls "Manager" Knochen (Jochen Nickel), der das große Geld wittert, und Tolle (Lore Richter), der Paul auf seiner Jagd nach Nirvana begegnet.

Erinnert sich noch jemand an das wundervolle Debüt Paul Is Dead (2000), mit dem einst die Karriere von Hendrik Handloegten (Liegen lernen, Fenster zum Sommer) begann? Im Prinzip ist Dear Courtney, Rolf Rorings Langfilmdebüt, aus einem ganz ähnlichen Holz geschnitzt und entwickelt doch einen sehr eigenen Charme und viel Humor. Angefangen von der Kindheit am Niederrhein (auch Paul Is Dead spielte dort) über die Begegnung mit der Rockmusik und einer sehr augenzwinkernden Verschwörungstheorie bis hin zu pointierten Dialogen und viel Humor, der nur bisweilen auch mal gröberer Natur ist, reichen die Verbindungslinien zwischen den beiden Filmen. Von Schmunzeln bis hin zu schallendem Gelächter reicht die Klaviatur der Gefühle, die Roring souverän beherrscht. Und wenn am Ende nach vielen Andeutungen (man beachte beispielsweise die Sonnenbrille, die Paul mehrmals trägt) endlich der „echte“ Kurt Cobain (natürlich ist es nicht der echte) in Pauls rostigem VW Golf sitzt und der mit einem Mädchen an seiner Seite den Weg von Hamburg in den Süden antritt, kommt man aufgrund der vielen liebevollen Details und der unverhohlenen Sympathie, die Roring seinen Figuren entgegenbringt, mit einem Lächeln auf dem Gesicht aus dem Kino – und realisiert erst später, dass man den Song, um den es die ganze Zeit geht, kein einziges Mal gehört hat.

Manchmal fühlt man sich auch an Filme wie Dorfpunks oder Am Tag als Bobby Ewing starb von Lars Jessen erinnert. Trotz solcher Vergleichsfilme ist Dear Courtney aber eigenständig genug und findet einen so schnoddrig-liebevollen Erzählton, um einiges von dem Talent anzudeuten, das neugierig macht auf die zukünftigen Filme Rolf Rorings. Obwohl es von der ersten Idee bis zur Fertigstellung beinahe zehn Jahre dauerte, könnte sich gerade diese Verzögerung als Glücksfall erweisen – schließlich ist ein Revival von Grunge und den Neunzigern gerade im Kommen.

Zumindest für den Publikumspreis beim Max Ophüls Festival 2013 dürfte Dear Courtney ein heißer Anwärter sein – wenn nicht sogar mehr für den Film drin ist. Auch im Kino könnte sich diese gutgelaunte Mischung aus Coming-of-age-Komödie und Grunge-Hommage Chancen auf einen kleinen Überraschungserfolg ausrechnen – wobei sich bislang zwar mehrere Verleiher gemeldet haben, aber noch kein Abschluss zu verzeichnen ist. Allerdings besteht wie gesagt ziemlich viel Hoffnung, dass Dear Courtney schon bald ein größeres Publikum finden wird.

(Festivalkritik Max-Ophüls-Preis 2013 von Joachim Kurz)

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/dear-courtney-2013