I Am a Woman Now

Wie Mann eine Frau wird

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Innerhalb von zwei Monaten steht die transsexuelle Cabaret-Künstlerin Bambi gleich zwei mal im Zentrum filmischer Aufmerksamkeit. Erst im Februar 2013 wurde die nach ihr benannte Dokumentation bei der Berlinale mit dem Teddy Award ausgezeichnet und kaum zwei Monate später gibt es mit dem Kinostart von I Am A Woman Now bereits ein Wiedersehen. Dieses Mal jedoch ist Bambi eher eine Randfigur, während sich der Dokumentarfilm von Michiel van Erp vor allem vier anderer transsexueller Frauen annimmt und ihre unterschiedlichen Lebensläufe beleuchtet.
Eines ist Colette, Corinne, April, Jean und Bambi gemeinsam: Sie alle verdanken ihr Leben als Frau demselben Arzt - Dr. George Burou, der in Casablanca schon in den 60er und 70er Jahren Geschlechtsumwandlungen vornahm. Doch wie die Geschichten der vier Frauen zeigen, war es mit dieser Operation noch lange nicht getan. Immer wieder mussten sich die Protagonistinnen mit ihrer Identität neu auseinandersetzen. Nun blicken die vier gealterten Damen auf ihr Leben zurück, schwelgen in positiven wie negativen Erinnerungen und ziehen aus ihren Erfahrungen unterschiedliche Schlüsse. Nur in einem scheinen sich die Fünf einig zu sein: Dr. George Burou ist ihr Heiliger, der ihnen ein neues, besseres Leben ermöglicht hat.

Der sagenumwobene Arzt kann in I Am A Woman Now leider nicht selbst auftreten. Doch der Bericht seines abenteuerlichen Todes während eines Motorbootausflugs trägt im Grunde noch zusätzlich dazu bei, dass er dem Zuschauer als überlebensgroße Legende erscheint. Die extreme Verehrung, die die Protagonistinnen dem Mediziner entgegenbringen, ist für das Publikum nicht im vollen Maße nachvollziehbar. Denn Regisseur Michiel van Erp gelingt es nur selten, zu seinen Figuren echte Nähe aufzubauen. Zum einen ist dies der Inszenierung geschuldet. Zu oft wirken die gewählten Settings bei aller Schönheit wie sorgsam entworfene Kulissen. Auch die Kamera von Mark van Aller erzeugt wiederholt ein Gefühl von Distanz, wenn sie die Protagonisten indirekt durch Spiegelungen oder aus großer Entfernung einfängt.

Neben der Inszenierung sind es jedoch auch die Frauen selbst, die den Zuschauer auf Abstand halten. Die meisten von ihnen haben in ihrem Leben starke Zurückweisung erlebt und es scheint, als würden sie auch dem Publikum gegenüber mit (durchaus verständlicher) Vorsicht begegnen. Insofern gelingt es Michiel van Erp, dieser Zurückhaltung seiner Protagonistinnen auch ästhetisch zu entsprechen und dem Zuschauer eine Ahnung von der Unsicherheit zu vermitteln, die einige der Frauen noch heute begleitet.

Doch I Am A Woman Now ist mitnichten ein trauriger Film. Die vier transsexuellen Frauen haben die schwierige Phase der Identitätsfindung größtenteils schon lange hinter sich gelassen und blicken nun mit großer Ruhe auf ihr bisheriges Leben zurück. Dabei gilt ihre größte Freude noch immer der Tatsache, dass ihnen die Operation durch Dr. Burou ein Leben als Frau ermöglicht hat. Interessanterweise ist es ausgerechnet die stets herrschaftlich herausgeputzte Grande Dame April, deren Emotionen hierbei für den Zuschauer am stärksten erfahrbar werden. Wenn die vier Frauen jedoch von den Schattenseiten ihres außergewöhnlichen Lebens berichten, wirken sie seltsam abgeklärt. Misshandlungen durch die Eltern, gescheiterte Beziehungen und anhaltende Einsamkeit wirken wie der notgedrungen akzeptierte Preis für die weibliche Identität. Bis auf Bambi und April werden die Protagonistinnen hierdurch in eine Opferposition gerückt. Michiel van Erp macht die Frauen, um die es ihm eigentlich geht, bedauerlich klein, während Dr. Georges Burou über allen Schicksalen als starker, gottgleicher Wohltäter schwebt. Auch hierdurch wird die Identifikation mit Corinne, Colette, Jean, April und Bambi erschwert.

Insgesamt kann I Am A Woman Now nicht über die gesamte Laufzeit fesseln – dazu fehlt es an narrativen Elementen, die der Dokumentation einen Spannungsbogen verleihen könnten. Auch wenn die spürbare Distanz zu den Figuren deren Lebensrealität wiedergibt, erschwert es Michiel van Erp hier seinem Zuschauer, zu den Protagonistinnen eine Beziehung aufzubauen. Angesichts des Titels I Am A Woman Now stimmt es fast schon ein wenig traurig, dass es in der Konsequenz ausgerechnet der sagenumwobene Mann Dr. Georges Burou ist, der am längsten im Gedächtnis bleibt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/i-am-a-woman-now