Richard Deacon - In Between

Das Vokabular des Bildhauers

Eine Filmkritik von Christian Horn

Mit Liebesversuche – Portrait Werner Schroeter (2003) und Die Stille der Unschuld – Der Künstler Gottfried Helnwein (2010) sammelte die Regisseurin Claudia Schmid bereits Erfahrungen im Genre des Künstlerporträts. Im Mittelpunkt ihres neuen Dokumentarfilms steht der in Wales geborene Bildhauer Richard Deacon, der mit vielschichtigen Skulpturen aus in sich verdrehten Holzlatten oder Keramik auf sich aufmerksam machte. Vergleichbar mit den Künstlerdokus Botero – Geboren in Medellin oder Gerhard Richter – Painting verzichtet Schmid auf einen erklärenden Off-Kommentar, Interviewmitschnitte oder eine chronologische Aufarbeitung von Deacons Lebensweg. Vielmehr beobachtet die Filmemacherin den Bildhauer in unbewegten Einstellungen bei seiner Arbeit im Atelier und lässt ihn von seiner Arbeitsweise erzählen.
Dieser Blick über die Schulter des Künstlers liefert ganz automatisch Einblicke in den künstlerischen Schaffensprozess und das Wesen der Kreativität: "Die besten Ideen entstehen beim Müßiggang," erklärt Deacon, dem oftmals zunächst unscheinbar erscheinende Gegenstände als Inspiration dienen – so lieferte beispielsweise die Kopfstruktur einer Marge-Simpson- Sammelfigur die erste Idee für eine Skulptur. Eine wesentliche Rolle in Deacons Schaffensprozess spielen seine langjährigen Mitarbeiter, allen voran Matthew Perry, der seit Mitte der Achtzigerjahre als "Übersetzer" von Deacons Ideen verantwortlich zeichnet. Richard Deacon selbst ist kurioserweise handwerklich unbegabt und so liegt es an Perry, die Vorstellungen des Bildhauers in eine haptische Form zu überführen, womit ihm auch ein Teil der Autorschaft zufällt. In Perrys Schreinerei überdenken die beiden verschiedene Möglichkeiten, die Einzelteile einer bestimmten Skulptur zu arrangieren und spielen diverse Optionen durch – mal ist es dann Perry, der das Werk im Wesentlichen prägt, manchmal beharrt Deacon jedoch auf einer bestimmten Lösung, die Perry schlicht ausführen muss. Insbesondere die fruchtbare Beziehung zwischen Richard Deacon und Matthew Perry liefert spannende Einblicke in die Arbeitsweise des Bildhauers.

Neben Deacons speziellem Schaffensprozess eröffnet Claudia Schmids Dokumentarfilm auch generelle Einsichten in das Wesen der Bildhauerei und das "Vokabular des Bildhauers", wie Richard Deacon einmal sagt. So verändert die Perspektive, die der Betrachter auf eine Skulptur einnimmt, die Wirkung des Kunstwerks beträchtlich: Ein und dieselbe Skulptur kann von der Seite aus betrachtet klobig aussehen, während ein Blickwinkel von oben einen gänzlich anderen Eindruck hinterlässt – eine Ambivalenz, mit der die Werke von Deacon/ Perry bewusst spielen. Auch die Größe ist – nicht nur im Hinblick auf eine mögliche oder eben unmögliche Ausstellung im Museum – eine nicht unwesentliche Variable in der Grammatik einer Skulptur: Ab einer gewissen Größe verschwimmt beispielsweise die Grenze zwischen Bildhauerei und Architektur, wohingegen eine sehr kleine Skulptur eher in den Bereich der Dekoration gehört.

Gegen Ende des Porträtfilms reflektiert Deacon auch die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft und kommt zu dem Schluss, dass ein Künstler im Grunde keine tragende Funktion erfüllt und gerade deswegen interessant ist. Hier kommt Deacon auch auf die zwiespältige Rolle des Künstlers zu sprechen, der – sobald der Kunstmarkt seine Werke ins "Programm" nimmt – im Grunde Luxusgüter für Reiche produziert, was sein Selbst- und Kunstbild auf die Probe stellt. Gerade dadurch, dass Claudia Schmid mit ihrem schnörkellosen Porträt keine definitiven Antworten liefern will, sondern diese und andere Gedanken Deacons kommentarlos stehen lässt, bietet ihr Künstlerporträt nicht nur Einblicke in die Bildhauerei, sondern auch Anknüpfungspunkte für die Kunstbetrachtung im Allgemeinen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/richard-deacon-in-between