Sâdhu

Unterwegs durch Indien mit einem "Wahrheitssucher"

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Wenn einer sich auf den spirituellen Weg begibt, dann sucht er nach der Wahrheit. Um diese zu finden, haben sich in Indien Sadhus einem streng asketischen und religiösen Leben verschrieben. "Sadh" kommt aus dem Sanskrit und bedeutet Wahrheit. "Sadhu" heißt nichts anderes als Wahrheitssucher. Asketisch zu leben, ist damit verbunden, sich von allem Weltlichen zu trennen inklusive der Familie und den Besitztümern. Der Schweizer Regisseur Gaël Métroz hat solch einen Sadhu ein Jahr lang begleitet. Daraus entstanden ist das dokumentarische Filmporträt Sâdhu.
Als wir Sadhu Suraj Baba zum ersten Mal begegnen, hat er bereits acht Jahre Einsamkeit in einer Höhle im Himalaya hinter sich. Der hinduistische Heilige wirkt jedoch alles andere als gesammelt und bei sich angekommen. Es sind vielmehr Zweifel und Unbehagen, die ihn prägen. Er wirkt irritiert und zerstreut als er seine Sachen zusammenpackt, um sich auf den Weg zur Kumbh Mela zu begeben, dem größten hinduistischen Pilgerfest der Welt. Lange hat er sich darauf vorbereitet. Lange hat er darauf gewartet. Doch was Suraj Baba dort vorfindet, ist kein Ort, an dem er sich wohlfühlt, sondern ein Zirkus vermeintlich Spiritueller.

In dem "heiligen" Getümmel fühlt sich unser Sadhu nicht wohl. Und so zieht es ihn weiter: auf eine Pilgerreise – Seite an Seite mit dem Regisseur – tief in die Berge hinein, über Nepal nach Tibet. Nur welche Bildsprache findet man für einen, der hauptsächlich schweigt, meditiert und Mantras rezitiert? Für einen, der innerlich zerrissen ist, der immer wieder abwägt zwischen westlicher und östlicher Welt, zwischen Zweisamkeit und Einsamkeit, zwischen Rückzug oder gar der Rückkehr zum Leben? Die ruhigen Bilder der Außenwelt (Berge, Seen, Natur), die Gaël Métroz dafür findet, sind ein regelrechtes Kontrastprogramm zum zerrissenen Innenleben des Sadhus.

Suraj Baba ist kein Mann der großen Worte. Viel lieber drückt er sich über Musik aus. Er spielt oft Gitarre und singt. Und irgendwie wirkt er anders als alle anderen Sadhus, die ihn zwar als Freund anerkennen, aber nie in ihre Familie aufnehmen würden. Was ist das auch für ein Sadhu, der seine rituellen Waschungen erst morgens um 9.00 Uhr vornimmt und nicht bereits um 2.00 Uhr nachts? Dass Suraj auf den ersten Blick nicht der Inbegriff eines gewöhnlichen Sadhus war, hat dem Regisseur allerdings besonders gut gefallen.

Gaël Métroz war für seinen ersten Kino-Dokumentarfilm Nomad’s Land – Auf den Spuren von Nicolas Bouvier bereits länger im Orient unterwegs. Die Sadhus, die er damals traf, inspirierten ihn zu einer zweiten Kino-Dokumentation. Suraj ist ihm erstmals in Gangotri an der Ganges-Quelle im Himalaya-Gebirge begegnet. 18 Monate lang begleitete der Regisseur den Sadhu, schlief mit ihm in Höhlen, an Flussufern, aß einfache Speisen. Zu zweit durchwanderten sie die Ebenen des Ganges in Indien, überquerten die Pässe des Himalayas in Nepal und gingen schließlich nach Tibet.

Als Zuschauer kommt man nicht schlauer aus dem Film heraus. Mit weisen Worten hält sich der Sadhu zurück. Aber er ist die Erkenntnis wert, dass der Rückzug aus dem Leben auch nicht immer eine Lösung auf die Fragen des Daseins bietet. Und finden wir die Wahrheit nicht eher dann, wenn wir uns tiefer in das Leben hinein begeben? Für seine Gedankenanstöße und den Mut des Mannes, sich jahrelang zu isolieren, ist der Film auf alle Fälle sehenswert.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/sadhu