My Sweet Pepper Land (2013)

Viagra für den Western

Eine Filmkritik von Gregor Torinus

Manche bereits Totgeglaubte leben bekanntlich länger. Dies gilt in filmischer Hinsicht ganz besonders für Opas Lieblingsgenre – den Western – der seit rund zehn Jahren wieder quicklebendig ist. Die neuen Sprösslinge erwecken dabei allerdings vermutlich häufiger Opas Unmut, aber so ist eben der Lauf der Dinge. Schwule Cowboys (Brokeback Mountain, 2005), schwarze Cowboys (Django Unchained, 2012), Tiroler Cowboys (Das finstere Tal, 2013) und jetzt mit My Sweet Pepper Land auch noch kurdische Cowboys. Da kenne sich noch einmal einer aus! Aber auch, wenn Opa weiterhin nur gemeinsam mit John Wayne dem Sonnenuntergang entgegenreiten mag, so freuen sich seine Nachkommen sehr über die unerwartete Frischzellenkur, die den Dinosaurier unter den Filmgenres neuerdings so zappelig und so reisefreudig macht. Selbst das vom Rest der Welt ziemlich abgeschnittene Kurdistan ist jetzt nicht mehr sicher vor coolen, rauchenden Gesetzeshütern, die auf amerikanische Musik und auf schöne Lehrerinnen stehen.

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Baran (Korkmaz Arslan) ist ein ehemaliger Kämpfer für die kurdische Unabhängigkeit und im neugegründeten Kurdistan ein frischgebackener Polizist. Er sucht keine bequeme Stelle bei sich in der Stadt, sondern will unbedingt „dahin, wo er wirklich gebraucht wird“. Vor allem aber möchte er möglichst weit weg von seiner Mutter, die ihn mit ihren pausenlosen Verkupplungsversuchen gehörig nervt. Beide Ziele lassen sich für ihn auf ideale Weise verbinden, als er den Posten des Polizei-Kommandanten in einem abgelegenen Dorf im Grenzgebiet zwischen Iran, Irak und der Türkei annimmt. Allerdings hat es seine Gründe, warum dieser Posten in kurzer Zeit bereits zum wiederholten Male freigeworden ist. Über dem Ort herrscht mit eiserner Faust der alte Pate Aziz Aga (Tarik Akreyi). Sein Clan hat nicht nur das regionale Geschäft mit dem Schmuggel, sondern selbst den örtlichen Richter in seiner Hand. Aziz Aga macht Baran schnell deutlich, dass er hier das Gesetz ist und deshalb kein Bedarf an weiteren Gesetzeshütern besteht. Unterstützung in seiner fortschrittlichen Haltung findet Baran alleine in der Person der schönen Lehrerin Govend (Golshifteh Farahani). Auch sie kommt von außerhalb und ist den Dorfbewohnern ein Dorn im Auge, da sie eine alleinstehende Frau ist...

Das finstere Tal, Andreas Prochaskas Verfilmung des gleichnamigen Romans von Thomas Willmann, ist ein Mix aus Western und Heimatfilm, der den Western in die Tiroler Alpen des 19. Jahrhunderts bringt. Hiner Saleems My Sweet Pepper Land ist hingegen eine Mischung aus Drama und Western, die im faktisch autonomen Kurdistan im Irak der Gegenwart angesiedelt ist. Doch diese zeitliche Differenz ist im Falle des kurdischen Western kaum spürbar. Die dortige Bar wirkt mit ihrem gestampften Boden sogar noch primitiver, als ihr Äquivalent im finsteren Tal. Ähnlich archaisch ist in beiden Orten auch die Gesellschaftsstruktur, bei der ein finsterer Clan die Geschicke der Menschen bestimmt. Aber während Das finstere Tal innerhalb dieses archaischen Settings eine eigene Geschichte zu erzählen hat, die trotz Einhaltung sämtlicher Genrekonventionen durchaus für die eine oder andere Überraschung gut ist, ist in My Sweet Pepper Land schnell klar, wohin die Reise geht.

Die für das Genre ungewöhnliche Umgebung kann somit nicht verbergen, dass My Sweet Pepper Land inhaltlich alles andere als originell ist. Das ist jedoch auch nicht nötig, da der Film mehr über Bilder, Stimmungen und seine Hauptdarsteller funktioniert. Erstaunlicherweise sind es dabei zumeist die leisen Momente, welche die größte Wirkung entfalten. Es sind Momente, wie wenn das von einer üppigen Pelzmütze umrandete Gesicht der schönen Govend inmitten der kargen kurdischen Gebirgslandschaft erscheint oder wenn die Lehrerin in ihrer Freizeit bedächtig ein Hang genanntes Instrument (aus zwei halbkugelförmigen Stahlblechsegmenten) spielt. Auch mit Baran gibt es zahlreiche fast poetische Szenen im Film, wie wenn dieser in einer Mischung aus Nachdenklichkeit und beginnender Verzweiflung alleine in seiner verlassenen Polizeistation raucht und man ihn dabei beobachten kann, wie er innerhalb einer ausweglos erscheinenden Situation eine Lösung sucht. Wirklich schön ist auch die Szene, in welcher der virile Polizist Govend gegenüber schüchtern zugibt, dass auch er Musik mag ("Johann Sebastian Bach… und Elvis Presly") und anschließend leise ein kurdisches Lied anstimmt.

Diese Augenblicke sind weder klischeehaft, noch kitschig, sondern zutiefst ehrlich, authentisch und romantisch. Es sind die Augenblicke, in denen My Sweet Pepper Land wirklich stark ist. Dem Autor und Regisseur Hiner Saleem gelingt es eine ganz eigene Stimmung irgendwo zwischen kurdischer Realität und Märchen zu kreieren. Dabei ist vieles weit weniger folkloristisch, als es auf den ersten Blick aussehen mag. So ist das archaisch wirkende Hang kein traditionelles kurdisches Instrument, mit dem Govend ihre Heimatverbundenheit zum Ausdruck bringt, sondern ein Schweizer Instrument, das erst im Jahre 2000 in Bern entwickelt wurde. Die leisen Töne, die Govend dem Hang entlockt, künden von ihrem Willen zur Verwirklichung ihrer eigenen Individualität und von ihrer inneren Aufbruchstimmung. Es sind neue Klänge der Hoffnung in einer alten Welt.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/my-sweet-pepper-land-2013