Lunchbox (2013)

Vom unverdienten Glück der Liebe

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

In der brummenden Metropole Mumbai muss jeder Einzelne seine Funktion gut kennen, um sich in der Hektik und im Gedränge nicht zu verlieren. Saajan (Irrfan Khan) sitzt seit 35 Jahren in der gleichen Firma, im nächsten Monat geht er in Rente. Ila (Nimrat Kaur) schickt ihre kleine Tochter jeden Morgen zur Schule und bereitet dann das Mittagessen für ihren Mann zu, das ihm an den Arbeitsplatz geliefert wird. Beide geben sie ihr Bestes und sind dennoch sehr einsam. Saajan ist Witwer und Ila wird von ihrem Mann kaum mehr beachtet. Über einen unwahrscheinlichen Zufall – die Lunchbox, die Ila ihrem Mann schickt, kommt neuerdings bei Saajan an – erfahren beide, dass es in der anonymen Großstadt jemanden gibt, der sich für sie interessiert.

Lunchbox, das Spielfilmdebüt des indischen Regisseurs und Drehbuchautors Ritesh Batra, hatte 2013 seine Weltpremiere in der Reihe Semaine de la Critique des Filmfestivals von Cannes. Die zarte Liebesgeschichte von Saajan und Ila, die anfangen, sich in der Lunchbox Briefe zu schicken, ist als Arthousefilm aus Indien eine Besonderheit. Er zeigt das Leben in Mumbai so realitätsnah, wie man es hierzulande im Kino selten sieht und beobachtet, wie die äußeren Umstände auf die Protagonisten wirken, wie sie darum kämpfen, die eigenen Werte nicht zu verlieren. "Ich glaube, wir vergessen Dinge, wenn wir niemanden haben, dem wir sie sagen", schreibt Saajan an Ila. Mit der heiter-melancholischen Korrespondenz wachsen ihren Hoffnungen wieder Flügel. Das Filmprojekt wurde als internationale Koproduktion, auch mit deutscher Beteiligung, verwirklicht.

Um die Atmosphäre der Stadt einzufangen, sind viele Szenen beiläufig gehalten oder spielen sich in Zügen und im Straßenverkehr ab. Saajan steht tagtäglich zwischen fremde Menschen gequetscht in der Bahn und mokiert sich einmal darüber, dass ihn auch nach dem Tod nur ein Stehgrab erwarte. Man bekommt einen guten Eindruck für die großen Distanzen, die die Bewohner bewältigen, wenn der Film die Dabbawallas begleitet, die den Lieferservice mit den Mittagessen betreiben. Sie holen die Speisen, die meistens von den Ehefrauen der Berufstätigen zubereitet werden, ab und transportieren sie in mehreren Etappen per Rad und Zug bis zum Tisch des Empfängers. Später bringen sie die Metallboxen mit den kleinen Einsätzen wieder zurück.

Ila ist eine begnadete Köchin. Sie legt all ihre Kunst und Zuneigung in die Mittagessen, um ihren Mann zurückzugewinnen – und Saajan riecht, prüft, schmeckt jeden Tag aufs Neue wie an einem Wunder. Der scheue, zurückgezogene Mann wird in der freudigen Erwartung der täglichen Lunchbox allmählich wieder wacher, lässt seine Blicke unsicher, aber neugierig schweifen. Fein dosierte Komik dient dazu, die zarte Fernbeziehung zu würzen wie Ila ihre Speisen. Die junge Frau wird fast nur zuhause gezeigt und berät sich mit einer pragmatischen Nachbarin, die man nie zu Gesicht bekommt: "Auntie" wohnt ein Stockwerk höher und kommuniziert über das offene Fenster. Saajan bekommt ebenfalls einen Begleiter, der zumindest zu Anfang eine rechte Nervensäge ist: Shaikh (Nawazuddin Siddiqui) ist sein Nachfolger am Arbeitsplatz, den er einweisen soll. Er hat etwas von einem liebenswerten Glücksritter und symbolisiert die Ungewissheit vieler Zuzügler, die sich eine Existenz in Mumbai aufbauen wollen.

Wahrscheinlich fiebert man so stark mit Saajan und Ila mit, weil sie ihre Beziehung hauptsächlich in der eigenen Vorstellung leben. Das Risiko, aus allen Wolken zu fallen, ist groß. Eine geschickte Dramaturgie mit einem ausgeprägten Gespür für Timing schraubt die Spannung in die Höhe. Die Kostbarkeit des einzelnen Moments erschließt sich manchmal erst im Nachhinein. Die Protagonisten ringen um richtige Antworten und der Film verlängert diesen Schwebezustand wie ein Komplize mit narrativen Mitteln. Der unverbraucht wirkende Inszenierungsstil und die exotische kulturelle Kulisse verstärken den Zauber dieses betörenden Liebesfilms.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/lunchbox-2013