All Is Lost

Der alte Mann und das Meer

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Mann, ein Boot und die unendlichen Weiten des Indischen Ozeans - mehr braucht es manchmal nicht, um einen spannenden Film zu drehen. J.C. Chandor (Margin Call) führt mit seinem Film All Is Lost, der in Cannes außerhalb des Wettbewerbs gezeigt wurde, den Katastrophenfilm an die äußerste Form der Verknappung und gewinnt auch dank eines herausragenden Hauptdarstellers Robert Redford (der auch der einzige menschliche Darsteller bleibt) auf ganzer Linie.
Ein Mann ohne Namen ist auf dem indischen Ozean allein mit einer Segelyacht unterwegs. Woher er kommt, wohin er will, was seine Gründe für die Reise über den Ozean sind - für all das finden sich allenfalls Hinweise in der Flaschenpostnachricht, die er am Ende seiner Reise den Wellen überantworten wird als eine Art schwimmendes Testament. Nach diesen Worten, die von einer körperlosen Stimme vorgetragen werden, springt der Film um acht Tage zurück, an jenen Zeitpunkt, von dem an das Unglück seinen Lauf nimmt. Eines Tages schreckt der Mann, der sich gerade unter Deck befindet, hoch von einem lauten Knall und von dem Wasser, das in die Kabine der kleinen Yacht eindringt. Nach oben geklettert sieht er dann das Unglück, das ihm widerfahren ist - sein Boot hat einen havarierten Container voller Schuhe aus asiatischer Produktion gestreift und ist nun leckgeschlagen. Trotz des Schadens, der entstanden ist, bleibt der Mann ruhig - mit überlegten Handgriffen manövriert er das Boot so in Schräglage, dass kein Wasser mehr eindringt, dann macht er sich an die notdürftige Reparatur des Schadens, sichert die durch das Meerwasser beschädigten elektronischen Geräte (unter anderem das Handy, das Funkgerät und die Navigationshilfen) und versucht diese wieder in Gang zu bringen. Doch seine Bemühungen sind umsonst, ohne Strom und ohne Möglichkeit, mit der Umwelt Kontakt aufzunehmen, ist der Segler nun den Elementen schutzlos ausgeliefert und kämpft gegen gewaltige Stürme und den schleichenden Verlust jeder Hoffnung an.

Klammert man den Prolog des Films, in dem der Text der Flaschenpost verlesen wird, einmal aus, spricht der namenlose Segler genau dreimal während des gesamten Films: Beim ersten Mal versucht er einen Funkspruch abzusenden, die beiden anderen Male sind es Hilfeschreie, die mehr zu sich selbst als zu anderen gerufen werden. Dennoch kommt in keinem Moment des reduzierten Kammerspiels auf hoher See je Langeweile auf. Geschickt halten J.C. Chandor und sein Hauptdarsteller mit einfachsten Mitteln die Spannung und das Gefühl, bei dem gesamten Geschehen hautnah mit dabei zu sein, aufrecht und geben dem Zuschauer keinerlei Gelegenheit dazu, sich den dramatischen Ereignissen auf der Leinwand zu entziehen. Man meint förmlich, den Hunger, den Durst, die Verzweiflung und die Hoffnung zu spüren, meint das Salzwasser zu schmecken, fühlt die ohrenbetäubenden Geräusche des Windes und der Wellen in den Eingeweiden, wird seekrank beim Ritt der Rettungsinsel durch die sturmgepeitschten Wellen.

Die Reduktion setzt sich auch bei der sparsam und klug eingesetzten Filmmusik fort - aus genau sieben Tönen besteht das Hauptmotiv des Filmes, die klingen wie ein dumpfer Sirenengesang, der dem einsamen Kämpfer gegen die ozeanische Naturgewalt zu signalisieren scheint "Lass alle Hoffnung fahren, aus diesem Gefängnis aus Wasser und Wind gibt es kein Entrinnen". Ohne jegliche verbale Information erahnt man als Zuschauer die Bedeutung des "Sumatra Strait", auf den der Segler zusteuert - hier in dieser Strömung liegt seine einzige Hoffnung und Chance, weil die Strömung von Schiffen genutzt wird und weil in ihnen, deren Ladung das Unglück überhaupt erst heraufbeschwor, die einzige Möglichkeit einer Rettung liegt.

Das Ende von Chandors furiosem Film über eine menschliche Katastrophe, der in Wirklichkeit auch eine Meditation über das Sterben und die Verzweiflung ist, bleibt offen. Just in dem Moment, als der Segler buchstäblich alle Hoffnung fahren lässt, als er hinabsinkt in die Fluten und sich diesem schwerelosen Schweben und Hinabsinken überantwortet, taucht ein Boot auf, das nach ihm zu suchen scheint. Doch ist dies wirklich so oder nicht vielmehr eine letzte Illusion vor dem Moment des Sterbens? Wir wissen es nicht, werden es vielleicht niemals wirklich ergründen können, dieses Mysterium des Sterbens. Und doch, vielleicht ja gerade deswegen, lässt einen dieser Film nicht mehr los - er ist ein Lehrstück in Reduktion und Effizienz, wie man es nur selten findet.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/all-is-lost