Der Lieferheld - Unverhofft kommt oft

Alle meine Kinder

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

1994 sorgte Ole Bornedal mit seinem nervenzerrenden Schocker Nightwatch – Nachtwache über die dänischen Landesgrenzen hinaus für nachhaltiges Aufsehen. Hollywoods Interesse war schnell geweckt und führte schließlich zu einem US-Remake, das der Däne selbst verantwortete. Mit eher enttäuschendem Ergebnis: Freeze – Alptraum Nachtwache entpuppte sich als halbgarer, blankpolierter Neuaufguss ohne eigene Aussagekraft. Eine ähnliche Entwicklung nimmt nun auch die frankokanadische Indie-Komödie Starbuck, die nach der Aufführung auf dem Toronto International Film Festival 2011 einen beachtlichen Siegeszug antreten konnte. Ebenso wie Bornedal ließ es sich Ken Scott, Regisseur und Drehbuchautor des Originals, nicht nehmen, die amerikanische Neuauflage Der Lieferheld – Unverhofft kommt oft zu inszenieren. Eine Entscheidung, auf die er getrost hätte verzichten können.
Viel hat der verantwortungslose Chaot David Wozniak (Vince Vaughn) in seinem Leben bisher nicht zustande gebracht. Mit Anfang Vierzig arbeitet er noch immer als Fleischauslieferer in der Metzgerei seines Vaters. Auf ihn ist selten Verlass. Und zu allem Überfluss rennt er ständig in die Schuldenfalle. Seine schwangere Freundin Emma (Cobie Smulders) will sein verantwortungsloses Verhalten eigentlich nicht länger hinnehmen und ist fest entschlossen, ihr Kind alleine aufzuziehen. David hat diese Nachricht noch nicht ganz verdaut, da erreicht ihn auch schon die nächste Hiobsbotschaft. Die Samenspenden, die ihn vor zwanzig Jahren aus akuten Geldnöten befreit haben, werden nun zu einem Bumerang. Immerhin sind daraus 533 Kinder entstanden. Und plötzlich wollen 142 seiner Sprösslinge mit einer Sammelklage die Identität ihres biologischen Vaters in Erfahrung bringen. Verwirrt wendet sich David an seinen besten Freund Brett (Chris Pratt), der früher als Anwalt gearbeitet hat, lässt sich gleichzeitig aber auch dazu hinreißen, heimlich in das Leben seiner Kinder einzutauchen.

Die Geschichte eines pubertären Mannes, der lernen muss, Verantwortung zu übernehmen, hat man im Kino sicher schon unzählige Male gesehen. Und doch gelang es Ken Scott in Starbuck, dieser Prämisse durch außergewöhnliche Umstände – wer kann sich schon Vater von 533 Kindern nennen? – eine originelle Note zu verleihen. Was in der kanadischen Vorlage allerdings zumeist charmant und gewitzt funktioniert, wirkt in der inhaltlich nahezu identischen Hollywood-Produktion leider nur noch routiniert und abgeschmackt. Ein unvermittelter Einstieg, der nur die nötigsten Figureninformationen liefert und sich mit wenig eindrücklichen Bildern zufrieden gibt, führt recht bald zum eigentlichen Konfliktfeld. David muss entscheiden, ob er sich seiner Vergangenheit stellen oder wie früher vor ihr davonlaufen will.

Episodenhaft taucht der Film mit seinem Protagonisten in das Leben einiger Kinder ein und offenbart schon hier die für den weiteren Verlauf tonangebende Rührseligkeit. So bringt es David beispielsweise über Nacht fertig, eine Tochter von ihrer Drogensucht zu befreien. Was eigentlich wenig glaubhaft ist, soll dem Zuschauer freilich den Wandel der anfangs noch verantwortungslosen Hauptfigur vor Augen führen. Mehr und mehr fühlt sich David zu seinen Kindern hingezogen, genießt ihre Nähe und entwickelt ernsthafte Vatergefühle. Angesichts dieser raschen und deutlich ins Bild gesetzten Läuterung stellt sich durchaus die Frage, warum der chaotische Fleischauslieferer dennoch lange davor zurückschreckt, seine wahre Identität preiszugeben. Dramaturgisch restlos überzeugende Antworten liefert Scott in diesem Punkt nicht.

Überhaupt zeigt sich die Komödie in erzählerischer Hinsicht immer wieder unausgereift. Das gilt vor allem für den Nebenstrang rund um Davids Auseinandersetzungen mit Emma, die, obwohl sie eine bedeutende Rolle in seinem Leben spielt, eine eher randständige Figur bleibt. Ihre Auftritte sind einfach zu kurz und zu unverbindlich, als dass sie nachhaltigen Eindruck hinterlassen könnte. Ähnlich aufgesetzt wirkt auch das nur kurz angerissene Schuldenproblem, das gegen Ende jedoch eine vollkommen überzogene Bedeutung erfährt. War die Auflösung in Starbuck schon überaus süßlich und emotional gefärbt, fällt sie in der US-Variante erst recht übertrieben kitschig und moralisierend aus. Unumwunden stimmt Scott hier das hohe Lied auf den Wert der Familie an und lässt David als Super-Daddy strahlen. Nichts gegen die positive Botschaft des Films, ein Abschleifen aller Ecken und Kanten ist des Guten dann aber doch zu viel.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-lieferheld-unverhofft-kommt-oft