Am Hang

Treue und andere Illusionen

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Gibt es so etwas wie die wahre Liebe, die zwei Menschen untrennbar miteinander verbindet? Oder sind zwischenmenschliche Beziehungen grundsätzlich temporärer Natur und jedes Ehegelöbnis ein Verbrechen wider die Natur? An dieser Frage spalten sich die Geister von Männern wie auch von Frauen. In der Literaturverfilmung Am Hang, basierend auf dem Roman von Markus Werner, geht es jedoch ausschließlich um die männliche Sicht der Dinge. Eine zugegebenermaßen recht begrenzte Perspektive, in der die Frau - hier bewusst im repräsentativen Singular erwähnt – ein rätselhaftes Wesen bleiben muss.
Zugegeben: Für die Dramaturgie der Geschichte ist es von fundamentaler Wichtigkeit, dass der Frau keine eigene Stimme gegeben wird. Im Zentrum der Geschichte stehen zwei Männer, die sich scheinbar zufällig begegnen und einander von vergangenen Liebschaften erzählen. Während Felix (Henry Hübchen) im übertragenen Sinne am Abgrund steht und seiner großen Liebe hinterhertrauert, hält der junge Thomas (Max Simonischek) wenig von emotionaler Permanenz und gibt sich trotz Singledaseins dementsprechend unbeschwert. Der eine glaubt an ewige Treue, der andere schläft bevorzugt mit verheirateten Frauen. Nicht verwunderlich also, dass die beiden zunächst eher unangenehm aufeinanderprallen, bevor in ihren Gesprächen eine gegenseitige Faszination entsteht. Während Thomas vom Ende einer seiner vielen und vollkommen austauschbaren Affären berichtet, erzählt Felix gebrochenen Herzens von seiner über alles geliebten Ehefrau.

In Rückblicken gewährt uns der Film Einblick in die Beziehungsgeschichten seiner Protagonisten und wir ahnen recht schnell, dass Felix und Thomas mehr verbindet als sie zunächst glauben. Beide Erzählungen entfalten sich abwechselnd und stückweise im Zuge mehrerer Verabredungen der beiden Helden. Doch obwohl diese Struktur die einzelnen Handlungsstränge immer wieder abbrechen lässt, entsteht nur wenig Spannung. Die Inszenierung ist insgesamt zu zahm, was in Anbetracht der steten Wiederholung des Satzfragments "zu zahm" durch Protagonist Felix wie missglückte filmische Selbstironie wirkt.

Obwohl es um die Liebe und die Leidenschaft geht, kann Am Hang zu keinem Zeitpunkt wirklich mitreißen. Immer wieder deutet Markus Imboden durch seine Inszenierung an, dass dieser Stoff auch zu einem Thriller taugen würde, nur um dieses offensichtliche Potential gänzlich unter den Tisch fallen zu lassen. Weder bangen wir als Zuschauer um die Figuren noch weinen wir um ihren Verlust noch erwärmt sich unser Herz in Anbetracht der vermeintlich innigen Liebe von Felix und seiner Frau. Die Auflösung der Geschichte ist zu vorhersehbar, um uns jemals wirklich rätseln zu lassen. Am Hang fällt es insgesamt schwer, das Kinopublikum für sich zu gewinnen.

Den einzigen Lichtblick in diesem Konzept stellt Henry Hübchen dar, der Felix mit einer Mischung aus amourös bedingtem Irrsinn und Verzweiflung zu einer ungemein sympathischen Figur macht, über deren Geschichte wir tatsächlich mehr erfahren wollen. Max Simonischek kann in seiner Darstellung leider nicht zum älteren Kollegen aufschließen. Sein Spiel wirkt zuweilen spröde und die Literarizität der Dialoge tritt bei seinen Zeilen besonders stark zu Tage, während es Hübchen irgendwie gelingt, die gestelzten Sätze natürlich klingen zu lassen. Der Cast wird ergänzt durch Martina Gedeck, die leider weder mit dem einen noch mit dem anderen Mann so richtig harmonieren kann. Wie eingangs erwähnt, leidet ihre Rolle jedoch vor allem unter der indirekten Repräsentation, die ihre eigene Motivation meist im Dunklen belässt und sie letztendlich als eine dieser komplizierten, wenn nicht gar hysterischen Frauenfiguren abstempelt, die immer dann entstehen, wenn ein Film oder Buch an dem Unternehmen scheitert, einen weiblichen Charakter mit Komplexität auszustatten.

So kann uns Am Hang leider wenig über die Liebe lehren, außer, dass eben auch Gefühle einen gewissen Interpretationsspielraum besitzen. Von dem Film lässt sich dies übrigens nur sehr begrenzt behaupten, da die Drehbuchautoren Klaus Richter und Martin Gypkens der Versuchung erlegen sind, in einer ganz und gar überflüssigen Schlusssequenz alle Unklarheiten zu beseitigen und damit wie nebenbei die Geschichte auch von dem kleinen bisschen verbliebenen Charme zu befreien.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/am-hang