Der Pornograph (2001)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

"Cinéma des auteurs" meets Hardcore

Kaum zu glauben, dass dieser Mann ein Pornofilmregisseur sein soll. Viel eher wirkt Jacques Laurent (Jean-Pierre Léaud) wie ein Schriftsteller, ein Maler, ein leicht zerstreuter Professor. Oder wie der Prototyp eines Regisseurs anspruchsvoller Filme, wie man sie aus Frankreich kennt. Und doch war Jacques in den Siebzigern eine feste Größe des französischen Pornofilms. Wobei keinerlei Zweifel daran besteht, dass der nun sichtlich gealterte Filmemacher mit seinen früheren Filmen stets auch einen hohen künstlerischen Anspruch verband. Doch mit der Zeit ging der Glaube an die Subversivität des Pornofilms verloren. Nach dem Scheitern seines geplanten Schlüsselwerks L’animal, in dem sich der pornographische Akt in reiner Abstraktion auflösen sollte, zog sich Jacques aus dem Business zurück. Nun, 15 Jahre später, will er es noch einmal wissen und soll erneut die Regie bei einem Film übernehmen. Wobei das Comeback nicht ganz freiwillig erfolgt, sondern vor allem Laurents finanziellen Problemen geschuldet ist. Das erhoffte Comeback gerät zum Desaster. Und auch privat tun sich ungeahnte Abgründe auf: Ausgerechnet während der Dreharbeiten taucht Jacques’ Sohn Joseph (Jérémie Rénier) auf, der sich einst von seinem Vater abgewandt hatte, als er erfuhr, womit dieser früher sein Geld verdient hatte. Ist eine Aussöhnung zwischen den beiden möglich?

Es sind die guten, alten Zeiten des Pornofilms, von denen Der Pornograph erzählt. Jene Tage, als im Zeichen der sexuellen Befreiung erotische Filme entstanden, die Freizügigkeit mit großem Kunstwillen und gesellschaftlichem Engagement verbanden. Heute, im Zeichen der Allgegenwärtigkeit von Sex auf allen Kanälen und in allen Medien erscheint die kurze Blüte der anspruchsvollen Pornos beinahe wie ein Märchen aus längst vergangenen Zeiten.

Vielleicht liegt es ja an diesem zeitlichen Bezugsrahmen, dass man sich bei Der Pornograph dann und wann an P.T. Andersons famosen Film Boogie Nights erinnert fühlt. Wobei Bonello nie die Eleganz und Flüssigkeit von Andersons Porno-Saga erreicht. Und das liegt keinesfalls nur daran, dass der Franzose sich auf die Gegenwart beschränkt, sondern auch an der manchmal etwas schwerfälligen Struktur des Films, die viel, vielleicht zu viel unter einen Hut bekommen will. „Cinéma des auteurs“ und Hardcore-Sex, die Leiden eines alternden Künstlers, der sich in seinem ureigensten Metier nicht mehr zurechtfindet und die Konflikte zwischen den Generationen, bei denen die Jungen angepasster, bourgeoiser und spießiger erscheinen als die Alten – all dies fügt sich bei Bertrand Bonellos Film nur schwer zusammen, erscheint sperrig und unterläuft jegliche Erwartungshaltung des Zuschauers.

Vor allem aber ist dieser Film eine Wiederbegegnung mit Jean-Pierre Léaud, dessen Karriere vor 50 Jahren mit Francois Truffauts Sie küssten und sie schlugen ihn / Les quatre cents coups begann. Mit fettigen Haaren, Bäuchlein und dem verhuschten Auftreten eines verkannten Poeten ist sein Jacques aus der Zeit gefallen und steht vor den Trümmern seines Lebens und seines Werks. Und nichts, aber auch gar nichts unterscheidet ihn von einem ganz normalen Autorenfilmer, dessen Karriere aus dem Tritt gekommen ist.

Beinahe ebenso bemerkenswert ist die junge Darstellerin an seiner Seite: Ovidie, die in dem Film die Pornodarstellerin Jenny spielt, hat reichlich Erfahrungen im Pornobusiness. Die 1980 als Eloise Brecht in Lille geborene Aktrice studierte Philosophie und bezeichnet sich selbst als „sex-positive Feministin“. Im Jahr 2000 drehte sie mit XYZ ihren ersten Porno als Darstellerin, bevor sie nach einigen Filmen hinter die Kamera wechselte und mit dem in Frankreich erschienenen Buch The Porno Manifesto eine wütende Abrechnung mit der Branche und der Heuchelei der Öffentlichkeit und der Medien vorlegte. Eine Schauspielikone des französischen Autorenkinos und eine veritable Pornodarstellerin – die beiden Extreme, zwischen denen sich dieser gewagte Film bewegt, sind vielleicht am deutlichsten in dieser Konstellation zweier denkbar unterschiedlicher Akteure zu erkennen.

Der Pornograph ist streckenweise feinnsinnig, dann wieder zäh, in einem Moment melancholisch, im nächsten wieder komisch und teilweise so distanziert, dass er dem Zuschauer einiges an Durchhaltevermögen abverlangt. Er ist ein Film über das Filmemachen, über die Sehnsucht nach der verlorenen Zeit, über zerbrochene Ideale, gescheiterte Karrieren und Beziehungen und somit trotz seines nüchternen Realismus ein vielschichtiges Werk. Eines aber ist er ganz sicher nicht – obszön. Und das ist bei diesem Thema schon beinahe ein kleines Wunder.
 

Der Pornograph (2001)

Kaum zu glauben, dass dieser Mann ein Pornofilmregisseur sein soll. Viel eher wirkt Jacques Laurent (Jean-Pierre Léaud) wie ein Schriftsteller, ein Maler, ein leicht zerstreuter Professor. Oder wie der Prototyp eines Regisseurs anspruchsvoller Filme, wie man sie aus Frankreich kennt. Und doch war Jacques in den Siebzigern eine feste Größe des französischen Pornofilms.

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