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Eine Mutter verliert nach dem Unfalltod ihres Kindes den Halt und versinkt in einem Morast aus Trauer, Wut und Enttäuschung.

How Is Katia? (2022)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Schmerzgang

Es gibt diesen schönen englischen Begriff der „downward spiral“, den man natürlich mit Abwärtsspirale übersetzen kann, was letztlich aber einfach nicht so bedrohlich nach Untergang, nach Taumel und drohendem Aufprall klingt. Man könnte sagen, dass das egal ist, solange dasselbe damit bezeichnet wird. Doch sollte man die Wirkung des Klangs nicht unterschätzen. Bei „How is Katia?“ hat man es mir einer solchen „downward spiral“ zu tun, deren Problem weniger die Geschichte ist, die nun mal von einem solchen Abstieg in die absolute Verzweiflung erzählt, als vielmehr der Klang, die Art und Weise, wie sich dieser Film erzählt. Man ertappt sich dabei, dass man den Film mögen will, während sich eine Gleichgültigkeit einschleicht, die viel mit einem fehlenden Rhythmus zu tun hat.

Natürlich ist Anna (Anastasia Karpenko) zu Beginn des Films glücklich. Ihre Arbeitskollegin formuliert es ganz treffend: Sie strahle förmlich. Gerade hat sie mit ihrer Tochter Katia (Kateryna Khokhlatkina) den Rohbau ihrer neuen Wohnung besichtigt. Bald werden sie aus den beengten Wohnverhältnissen mit kranker Großmutter und Tante ausbrechen können. Dafür arbeitet Anna hart, schiebt als Rettungsärztin Sonderschichten.

Katia richtet in Gedanken schon ihr Zimmer ein. Mutter und Tochter tanzen beglückt. Noch hat das Haus keine Wände. Der Ort besteht aus einer unendlichen Freiheit, in der alles möglich erscheint. Und gleichzeitig kündigt sich hier bereits ein möglicher Sturz an oder zumindest eine Bedrohung, der man in dieser Offenheit schutzlos ausgeliefert ist, wenn es keine Tür gibt, die man abschließen kann. Nicht umsonst hat Katia die Absperrbänder um ihre Hände gewickelt; das Schicksal spielt sein bösartiges Spiel.

Auf dem Weg zur Schule passiert das Unaussprechliche: Katia wird überfahren und verstirbt wenige Wochen später im Krankenhaus. Ein kleiner Moment genügt, damit das Strahlen des Lebens versiegt. Zur Trauer über den Tod der geliebten Tochter kommen Geldsorgen, der Kredit für die Wohnung kann nicht mehr bedient werden. Zudem ist die Fahrerin des Unfallwagens die Tochter einer wohlhabenden Familie, die sich mit Leichtigkeit aus den juristischen Folgen winden kann. Ohnehin beginnen alle Freunde ihr wahres Gesicht zu zeigen und sich mehr um die eigenen Probleme zu kümmern, als dass sie Anna wirklich helfen würden.   

Die ukrainische Regisseurin Christina Tynkevych inszeniert eine filmgewordene Verengung, in der Trauer, Schmerz und Verzweiflung zu einem Punkt werden, der sich in Anna zusammenzieht. In langen Einstellungen nimmt deren kraftloses Gesicht die Leinwand ein, während der Hintergrund in Unschärfe versinkt: Die Schwere des Verlusts wird in ein optisches Problem, in ein Erblinden gegenüber der Welt übersetzt. Das hat zu Beginn eine große Kraft, weil man sich dem einnehmenden Spiel von Anastasia Karpenko nicht entziehen kann.

Doch je länger der Film dauert, desto mehr wird How is Katia? zu einem Schraubstock aus engen Bildern; eine Taubheit stellt sich ein. Karpenko setzt zu sehr auf das Abwärts ihrer Spirale, alles wird immer schlimmer, enger und unscharf: Der Film vergisst zu atmen, sich einen Rhythmus zu geben und den Gefühlen dieser vom Schicksal gebeutelten Mutter einen differenzierten, komplexen Ausdruck zu verleihen. So läuft der Film seine Stationen der Enge ab, während das Publikum bereits alles gefühlt hat. Ein ermüdend-zäher Kreuzgang.

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