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In „To the Ends of the Earth“ folgt Kiyoshi Kurosawa einer japanischen Reisereporterin durch Usbekistan – mit satirischem Witz, diffuser Spannung und einer großen Offenheit.

To the Ends of the Earth (2019)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Yoko in Usbekistan

Eine junge Frau macht sich bereit für den Tag. Sie legt Lippenstift auf, verlässt ihre Unterkunft und wirkt auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit etwas hilf- und orientierungslos. Schließlich wird sie von einem Mopedfahrer an ihr Ziel gebracht: den Aydarsee.

Nun erfahren wir, dass die Japanerin Yoko (Atsuko Maeda) eine Reporterin ist, die sich für ihre Reisesendung zusammen mit einer kleinen Fernsehcrew in Usbekistan aufhält, um das Land zu erkunden. Rasch geht sie ihren Text durch, ehe sie in den See steigt, um mit den Dreharbeiten zu beginnen. Und schon hier zeigt sich der großartige Humor dieses Films und das beachtliche Talent der Hauptdarstellerin: Die zunächst äußerst schüchtern und unsicher anmutende Yoko verwandelt sich vor der TV-Kamera plötzlich in eine enthusiasmierte Moderationsmaschine, die voller Begeisterung verkündet, dass sie sich hier, im Aydarsee, auf die Suche nach dem sogenannten Bramul, einem zwei Meter langen Fisch, machen werde. Was für ein Abenteuer!

Der japanische Autorenfilmer Kiyoshi Kurosawa erzählt in To the Ends of the Earth gewissermaßen eine Fish-out-of-Water-Story, in der jener „Fisch“, der aus seiner natürlichen Umgebung in eine fremde Welt geraten ist, einem tatsächlichen Fisch hinterherjagt. Besagter Bramul ist indes selbstverständlich nur ein MacGuffin, ein leer gesetztes Handlungsziel. Gegen Ende, als sich das Aufspüren des Riesenfischs wiederholt als erfolglos erwiesen hat, heißt es, dass es in der Gegend auch ein haariges Tier mit langen Hörnern gebe – das könnte für Yokos Sendung doch sogar noch interessanter sein, oder?

Der Film trägt deutliche satirische Züge, hat aber absolut nichts Bösartiges an sich. Weder führt er Yoko vor, noch macht er sich über seinen Schauplatz und die Leute in Usbekistan lustig. Im Gegenteil: Bei aller Zuspitzung zeigt Kurosawa stets sehr viel Feingefühl. Wenn Yoko etwa vor laufender Kamera eine lokale Spezialität kosten soll und im Vorfeld feststellen muss, dass der Reis noch ungekocht ist, leiden wir in erster Linie mit der Protagonistin mit, als sie mit gespielter Freude schwärmt, wie „köstlich“ und „knusprig“ der Reis doch schmecke. Wenn Yoko an späterer Stelle im Dienste der Sendung ein ziemlich unangenehmes Fahrgeschäft in einem kleinen Vergnügungspark testet und sich dabei merklich quält, sind wir gänzlich bei ihr, statt sich über ihre Strapazen zu mokieren.

Einige Momente in To the Ends of the Earth lassen an Sofia Coppolas Lost in Translation (2003) denken. Darin war Kurosawas Heimatland der Ort, an dem sich zwei Menschen völlig verloren, out of water, fühlten. Bei allen Stärken des Films bediente Coppola etliche Japan-Klischees etwas zu unreflektiert. Kurosawa ist in der Darstellung der Isolation, die Yoko empfindet, wesentlich differenzierter. Die Subjektivität von Yokos Wahrnehmung wird spürbarer. Der Regisseur, der vor allem durch seine anspruchsvollen Horrorfilme Cure (1997) und Pulse (2001) internationale Bekanntheit erlangte, erzeugt auch hier eine Spannung, die zwar nicht direkt etwas mit der schaurigen Stimmung seiner Genre-Arbeiten zu tun hat, aber ebenfalls für eine Atmosphäre des Unbehagens sorgt. Immer wieder läuft Yoko panisch davon, wenn sie sich von Leuten (beispielsweise einem Mann vom Sicherheitsdienst) bedrängt fühlt. Hinzu kommt Yokos Angst, dass ihrem Freund, der in Tokio bei der Hafenfeuerwehr tätig ist, etwas passieren könnte, während sie fort ist.

Im weiteren Verlauf des Plots nimmt To the Ends of the Earth beinahe traumwandlerische Züge an und wird in zwei besonders schönen Sequenzen gar zum Musical. Als Yoko das Navoi-Theater in der usbekischen Hauptstadt Taschkent entdeckt, findet sie sich plötzlich auf der Bühne wieder und singt die Hymne à l’amour von Édith Piaf. Zugleich sitzt Yoko im Saal und betrachtet ihre eigene Performance. Atsuko Maeda, die in Japan sowohl als Sängerin als auch als Schauspielerin ein großer Star ist, bietet das alles so hingebungsvoll dar, dass sich der Zauber des Augenblicks und das Gefühl des Verlorenseins sehr stimmig verbinden. Am Ende befindet sich Yoko in den Bergen; ein Hauch von The Sound of Music (1965) weht durch die Landschaft. Zwischen all den Dingen, die im Laufe von Yokos Reise misslingen, hat eine langsame Versöhnung zwischen Yoko und Usbekistan stattgefunden. Wir merken: Sie ist bereit für den nächsten Tag, den nächsten Schritt, das nächste Abenteuer.

To the Ends of the Earth (2019)

„To the Ends of the Earth“ basiert auf einem Drehbuch von Kiyoshi Kurosawa. Erzählt wird darin die Geschichte der jungen Japanerin Yoko, die mit ihrer kleinen TV-Crew in Usbekistan eine neue Folge ihrer Reise-Variety-Show dreht. Die Erlebnisse, die die vorsichtige Frau im Laufe ihrer Reise macht, verändern bald ihre Sicht auf das Leben.

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