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Ist es falsch, sich eine Wohnung mit Nießbrauch zu kaufen, um darauf zu warten, dass die Bewohnerin stirbt? Die Komödie „Vier Wände für zwei“ lotet diese Frage aus. Der Film von Bernabé Rico zeigt aber noch einiges mehr und überzeugt durch seine originell eingesetzte Filmmusik.

Vier Wände für Zwei (2020)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Blumentapete und Samt im Sarg

Die erste Einstellung von „Vier Wände für zwei“ zeigt eine gewöhnungsbedürftige Retro-Tapete: Großformatige Blumen in Rosa und anderen pastelligen Farben zieren die komplette Wand. Erst später wird man erfahren, was sich hinter der Wand mit der Tür verbirgt. Das Muster aber setzt von Beginn an das Thema des Films: Nostalgie oder nicht Nostalgie — das ist die Frage.

Sara (Juana Acosta) hat diese unglaublich günstige Wohnung im Zentrum von Sevilla entdeckt. Ein Schnäppchen, wie ihr auch der Makler (Carlos Areces) versichert, die Wohnung sei – einmal in Schuss gebracht – gut das Doppelte ihres Kaufpreises wert. Einziges Manko: Die Wohnung wird mit Nießbrauch verkauft, die jetzige Besitzerin darf demnach bis zu ihrem Ableben in der Wohnung bleiben. Und deshalb nennt der Makler sie auch lediglich „die Unannehmlichkeit“ (so auch der spanische Originaltitel El inconveniente).

Für Sara ist der Deal in Ordnung, sie kauft die Wohnung ohnehin eher als Anlage und möglichen Ausweg aus der Beziehung mit Daniel (Daniel Grao) – sollte es einmal kriseln. Die Wohnung scheint ihr eine gewisse Freiheit zu ermöglichen beziehungsweise zu garantieren. Trotzdem fragt sie sich immer wieder: Ist es nicht moralisch verwerflich, sich eine Wohnung zu kaufen und auf den Tod der Bewohnerin zu warten? Aber auch Lola (Kiti Mánver) hat durch den Kaufvertrag gewonnen: Sie kann weiterhin fröhlich im Internet shoppen, sich einen größeren Fernseher kaufen und für den Fall der Fälle den teuersten Sarg mit rotem Samt aussuchen. 

Die beiden Frauen könnten nicht unterschiedlicher sein: Auf der einen Seite eine erfolgreiche Geschäftsfrau Ende 30, die ein scheinbar selbstbestimmtes Leben führt, einen guten Job bei einer Versicherungsgesellschaft hat und ihr eigenes Konto führt, immer gut und dem Anlass entsprechend gekleidet ist und die einen adretten Mann an der Seite hat. Lola, Mitte 70, auf der anderen Seite ist schon lange allein, hat mit ihrer Beziehung und der Vergangenheit abgeschlossen und genießt das Jetzt in vollen Zügen. Sie muss nicht direkt nach dem Essen abspülen, weil jemandem das gefallen würde, sie hält das für konservativ. Lola verbringt ihre Tage im – ebenfalls großgeblümten – Bademantel und dreht sich zwischendurch einen Joint.

Natürlich wird schnell deutlich, dass die beiden mehr gemeinsam haben, als sie anfangs meinen. Vier Wände für zwei von Bernabé Rico ist ein recht konventionell erzähltes Drama, humorvoll und vorhersehbar, aber das macht nichts, im Gegenteil, das steigert an manchen Stellen sogar die Spannung. Die Figuren sind es, die originell sind und sich in herrlichen Dialogen einen Schlagabtausch liefern: Die ältere Dame, die am Alleinsein und der Vergangenheit mehr knabbert, als sie zugeben mag. Die jüngere Frau, die am liebsten alles unter Kontrolle hat und sich nicht eingestehen mag, dass dies nicht in allen Lebensbereichen funktioniert. Aber auch Nebenfigur Oscar Ramos, der sich in verschiedenen Jobs – darunter das Immobiliengeschäft – versucht, bis der richtige dann für ihn gefunden wird.

Auch der Einsatz von Musik in Vier Wände für zwei ist originell. Zwar bedient sich der Film einer expressiven Filmmusik, die Stimmungen und Emotionen auf der Tonebene intensiviert, aber sie tut dies auf eine ungewöhnlich kontrapunktische Art und Weise: Sie kommt häufig aus dem Filmraum selbst, hat immer wieder auch eine dramaturgische Funktion des Pausierens, sie übertreibt mal an einer Stelle, nimmt sich zurück an einer anderen, fällt aber immer auf. 

Lola hat schon früh erkannt, dass sie – mit drei Bypässen und ihrem ausschweifenden Lebensstil – die Gegenwart auskosten und den Tag nutzen muss. Der Satz vom „Carpe Diem“ bedeutet für Sara zunächst aber etwas anderes: Ihre Tage sind effizient und produktiv, ihr Blick ist stets in die Zukunft gerichtet. Sie muss erst einige neue Erfahrungen machen, um Lolas Haltung zum Leben zu verstehen. Aber auch Lola kann von Sara lernen und sich inspirieren lassen. An Vier Wände für zwei ist also nicht nur die Tapete des Wohnungsflurs nostalgisch, sondern auch die Weltsicht ist es. Wer den Tod vor Augen oder einmal zum Greifen nahe gespürt hat, der mag vielleicht wehmütig in seine Vergangenheit blicken, ab nun jedoch jeden Moment genießen wollen. Denn wer weiß, was die Zukunft bringen wird?

Vier Wände für Zwei (2020)

Sara, erfolgreiche Managerin, lebt in Sevilla und ist seit acht Jahren mit Daniel verheiratet. Nicht mehr an die Zukunft ihrer Ehe glaubend, macht sie sich hinter dem Rücken ihres Mannes auf die Suche nach ihren eigenen vier Wänden. Der schräge Immobilienmakler Óscar zeigt ihr eine wunderschöne Wohnung, die abgesehen von den scheußlichen Tapeten zwar absolut perfekt wäre, jedoch einen entscheidenden Haken hat: Sara kann erst einziehen, wenn die derzeitige Eigentümerin Lola verstorben ist. Sara trifft sich mit Lola, die sich als wortgewandte, kettenrauchende und freigeistige Überlebende eines dreifachen Bypasses herausstellt. Eine Naturgewalt, deren Lebensfreude und Leidenschaft mit Saras eher konservativer Einstellung kollidiert. Als Sara entdeckt, dass ihr Mann sie betrügt, sucht sie Trost und Rat bei Lola, der ähnliches widerfuhr. Die beiden Frauen, die so unterschiedlich sind und doch in ihrer Einsamkeit vereint, schließen eine ungewöhnliche Freundschaft. Eine Freundschaft, die von Zuneigung, Gefühlen und viel Humor geprägt ist und am Ende über den Pakt, den sie mit dem Wohnungskauf beschlossen haben, hinauswächst…

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