Log Line

Rebecca Hall hat sich für ihr Regiedebüt anspruchsvollen Stoff gesucht. Ihr Film Passing“ erzählt von der Identitätssuche zweier Frauen in Harlem.

Seitenwechsel (2021)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Im weichen Licht von Harlem

Selten hat Tessa Thompson so viele Schichten zu meistern gehabt. Wenn sie in Passing“ das erste Mal als Irene die Szene betritt, hält sie den Kopf gesenkt, die Schultern leicht verkrampft und meidet den Blick aller, denen sie begegnet. Sie ist im Manhattan der 1920er-Jahre unterwegs und weil es heiß ist, bringt ein Taxifahrer sie in das Café eines Luxushotels. Ihrer eleganten Kleidung nach gehört sie zweifellos zu den reichen Gästen, doch ihre Haltung sagt, dass es sie größte Überwindung kostet, hier zu sein. Als sie die Augen verstohlen unter der Tüllkrempe ihres Hutes hervor durch den blendend weißen Raum schweifen lässt, verhakt sich ihr Blick mit dem einer platinblonden Frau, die sich kurz darauf als Irenes alte Schulfreundin Clare (Ruth Negga) entpuppt. Die schleppt Irene auf ihr Zimmer, ordert Eistee in Champagnergläsern und fragt, wo Irene nun wohnt. „Noch immer in Harlem“, sagt Irene und erklärt damit indirekt ihr Unbehagen. Clare hingegen hat ihre Identität mittlerweile gewechselt, lebt als weiße Frau in Chicago, sehnt sich jedoch nach ihren Wurzeln zurück.

Der Terminus Passing beschreibt im Amerikanischen genau diesen Prozess, das „Durchgehen“ als Person anderer Herkunft und Hautfarbe. Der gleichnamige Film von Rebecca Hall will sich das Phänomen jedoch nicht nur historisch ansehen, sondern hinterfragen, was Identität eigentlich ausmacht. Die britische Schauspielerin Rebecca Hall hat sich für ihr Regiedebüt keinen leichten Stoff ausgesucht. Mehr als 15 Jahre arbeitete sie daran, den Roman Passing von Nella Larsen als Film umzusetzen. Larsen gehörte zur Harlem Renaissance, einer Bewegung Schwarzer Künstler im New York der 1920er- und 1930er-Jahre. Ihr Roman beschreibt eine Identitätssuche, die sie in gewisser Weise selbst als Tochter einer dänischen Schneiderin und eines von Sklaven abstammenden Vaters aufgrund ihrer Hautfarbe erlebte. Genau in diesem Umstand fand Hall ihren Anknüpfungspunkt. Sie beschäftigte das Identitätsthema, seit sie erfuhr, dass ihr Großvater schwarz war. Damals fiel ihr das Buch von Larsen in die Hände, die Geschichte ließ sie nicht mehr los, wie sie vor der Premiere ihres Films in Sundance erzählt.

Sie bestand darauf, dass der Film in Schwarzweiß gedreht werden müsse, was die Finanzierung nicht einfach machte. „Das wurde besser, als Tessa Thompson und Ruth Negga mit an Bord waren“, erinnert sie sich. Ihre Entscheidung für diese Filmtechnik ist kein kapriziöser Wunsch einer jungen Filmemacherin, vielmehr liegen hier künstlerische Überlegungen zugrunde. Passing erinnert durch das Schwarzweiß und die Wahl des klassischen 4:3-Formats zum einen an Filmklassiker des Jahrzehnts, um das es im Film geht.

Zum anderen setzt Hall durch die Wahl dieser Technik einen inhaltlichen Punkt. Die Beleuchtung dient ihr als Stilmittel. Wenn Irene im Hotel in Manhattan ist, strahlt ihre Umgebung so blendend weiß, dass auch sie blasser wird, man den Prozess des Passings visuell nachvollzieht. Zurück in Harlem, wo Irene eine Stadtvilla mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen bewohnt, gibt die Beleuchtung ihr Kontrast zurück, hüllt sie in warme Schatten ein, erdet sie gleichsam im geschmackvollen Dekor ihres Hauses. Thompson meistert diese Verwandlung, indem sie mit kleinsten körperlichen Details arbeitet. Sie wirkt hier selbstbewusster, hebt ihren Kopf, lässt ihre Stimme tiefer und ruhiger werden, wenn sie mit ihrem Mann verhandelt oder das Abendessen mit der Angestellten bespricht.

Irene ist mit ihrem Leben in Harlem zufrieden, doch kann sie die Realität nicht draußen halten. Ihr Mann liest den Kindern am Abend von Lynchmobs aus der Zeitung vor, die Schwarze umgebracht haben. Und eines Tages steht Clare wieder vor der Tür. Hall gibt ihren Schauspielerinnen noch eine weitere Aufgabe zu schultern: In zartesten Blicken und Gesten deutet sich an, dass zwischen den Frauen einmal mehr war als eine Schulfreundschaft. Doch das darf ebensowenig an die Oberfläche kommen, wie Clares Versuch, in zwei Identitäten zu leben.

Hall ist ein bemerkenswertes Debüt gelungen, das detailverliebt Fragen nach Identität und Gruppenzugehörigkeit stellt und wissen will, wie viel man aufgeben muss, um zu den Privilegierten einer ungleichen Gesellschaft zu gehören.

Seitenwechsel (2021)

In “Passing” begegnen sich zwei einstige Freunde aus Schulzeiten nach langem wieder. Doch die Begegnung entfacht eine Besessenheit, die droht, das sorgfältig aufgebaute Leben der beiden wie ein Kartenhaus zusammenstürzen zu lassen.

 

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen