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Wer hilft eigentlich denen, die sich in der Flüchtlingspolitik engagieren, weil sie eben selbst aktiv werden und nicht bloß zusehen wollen? Wo beginnt echte Empathie, und wo enden stupide Vorurteile? David Clay Diaz‘ zweiter Langfilm sieht genau hin und liefert bewusst keine einfachen Antworten. 

Me, We (2020)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Schutzlose Schutzengel

Natürlich wollen wir helfen. Sicherlich jede(r) von uns: zumindest im Herzen, manche auch mit den eigenen Händen – oder wenigstens mit dem schnöden Mammon aus dem Geldbeutel oder der privaten Altersvorsorge. So sieht es zum Glück die Mehrheit unserer weitgehend heterogenen Zivilgesellschaft, auch wenn Putins rücksichtloser Angriffs- und Wirtschaftskrieg gegen die Ukraine beziehungsweise die Weltgemeinschaft sowie die stetig schneller tickende Uhr im Hinblick auf die Klimakrise und deren gravierende Folgen die gewaltigen Flüchtlingsströme medial in den Hintergrund gedrängt haben.

Weiterhin versuchen jedes Jahr tausende Geflüchtete alleine über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, was in den vergangenen Jahren auch im Kino (z.B. in Styx) oder in TV-Miniserien wie Liberame – Nach dem Sturm zusehends künstlerisch angegangen wurde: mit sehr unterschiedlichen und nicht immer nur gelungenen Gestaltungsmitteln. Der 1989 in Paraguay geborene und in Wien aufgewachsene HFF-München-Absolvent David Clay Diaz, der bereits mit seinem Berlinale-Debüt Agonie (2016) ein Ausrufezeichen gesetzt hat, bedient sich für seinen zweiten Langfilm Me, We dagegen einer rein episodischen Erzählstruktur. 

Im Zentrum seines zweistündigen Mäanderns durch den allgegenwärtigen Helfen-Wollen-Komplex — wie das harsche Aufeinanderstoßen von Ressentiments mit den Problemen spröder Bürokratie, verbunden mit der Möglichkeit persönlichen Scheiterns — stehen vier Österreicher: Marie (Verena Altenberger), Gerald (Lukas Miko), Petra (Barbara Romaner) und Marcel (Alexander Srtschin) haben allesamt in sehr unterschiedlicher Ausprägung mit den Folgen der verfehlten EU-Flüchtlingspolitik zu kämpfen. 

Sei es als naiv-übermotivierte NGO-Volunteer (Marie), die nach Lesbos reist, um dort Geflüchtete aus verschiedenen Ländern in Empfang zu nehmen und vor Ort mit dem Nötigsten zu versorgen, was in einem Camp in der Praxis gar nicht so einfach ist. Zugleich stört sie sich an den Fragen ihres Vaters, der ihre Arbeit als bloßes Mitmachtum („Also auf alle Fälle sind wir stolz auf dich“) abkanzelt. Mit ihr will er stattdessen in einer der gelungensten Miniszene dieser sehenswerten Versuchsanordnung lieber über die anstehende Geburtstagsfeier ihrer Mutter in der Toskana sprechen. Zu der soll sogar ein Verwandter aus Frankfurt am Main extra anreisen, was für den Vater trotz all des Wahnsinn in der Welt kaum zu glauben ist und Marie sofort in Rage bringt. 

Oder sei es als tatkräftiger, trotzdem ambivalenter Leiter einer Wiener Asylbewerbereinrichtung (Gerald), der täglich mit sprachlich-interkulturellen Missverständnissen sowie den Folgen von Fluchttraumata und Drogenkriminalität konfrontiert wird und innerlich gar nicht mehr zur Ruhe kommt. Ohne sich einerseits selbst zu schonen, hadert er andererseits mit seiner wichtigen Rolle als Vermittler zwischen Geflüchteten und Behörden, die er teils schamlos („Nein, du wirst nichts der Polizei melden!“) ausnutzt, was ihn zusehends in die Bredouille bringt. 

Dass sich hehre Absichten nicht automatisch mit der Realität verbrüdern, zeigt sich auch im komplexen Lebensentwurf der TV-Journalistin Petra, die wohlsituiert ein großes Haus bewohnt und dort einem untergetauchten Asylbewerber namens Mohammed Unterschlupf gewährt. Der eigensinnige Minderjährige lässt sich für sie sogar zwangstaufen, obwohl er ihre permanente Bevormundung im Kunstmuseum in einem Egon-Schiele-Raum („Ungeschönt und unzensiert. Das ist Freiheit.“) wie auf dem Tanzparkett im Kern ablehnt und sich schlichtweg nach seinem Zuhause sehnt, wo ihn obendrein seine Frau erwartet. 

Marcel, ein proletarischer Halbstarker mit kesser Lippe, will zusammen mit seinen nicht minder tumben Kumpel dafür sorgen, dass österreichische Frauen nachts nach Clubbesuchen sicher mit dem Moped nach Hause gefahren werden: Es könnten ja gefährliche „Neuankömmlimge“ auf sie warten, wofür er mit der „Schutzengel AG“ einen obskuren Begleitservice initiiert. Den wiederum verstehen eben jene jungen Frauen bloß als plumpe Anmachstrategie, was Marcel nur noch wütender macht: Es reicht doch schon, dass seine eigene Schwester, mit der er zusammenwohnt, einen Muslim und keinen strammen Alpenrepublikaner als Freund hat! 

Wer in diesem losen Spiel aus Ankömmlingen und Dagebliebenen, Abreisenden und Wiederkommenden die wirklichen Sieger sind? Gute Absichten sind vielseits vorhanden, doch offensichtlich ist der Mensch eben nicht nur gut, sondern auch egoistisch, kaltschnäuzig oder schlichtweg von der jeweiligen Situation überfordert, was sich in Me, We in zahlreichen Szenerien manifestiert, ohne eindeutige Antworten zu liefern. Unterstützt durch glaubhafte, selten eintönige Charaktere sowie eine souveräne Bildgestaltung durch den exzellenten Kameramann Julian Krubasik (Hi, AI; Mein Ende. Dein Anfang; Die Geheimnisse des schönen Leo) ist David Clay Diaz in der Summe ein nuancierter Diskursfilm gelungen, der aufhorchen lässt. 

Me, We (2020)

Marie fährt ans Mittelmeer, um Menschen in Seenot zu helfen. Marcel gründet einen Geleitschutz für Frauen vor „übergriffigen Migranten“. Petra nimmt einen traumatisierten Geflüchteten auf. Und der Asylheimleiter Gerald wird von einem Bewohner auf die Probe gestellt. (Quelle: Diagonale 2021)

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