Log Line

Am 20. November 1970 ereignete sich bei der Miss-World-Wahl in doppelter Hinsicht Historisches. Philippa Lowthorpe hat die Geschichte dahinter verfilmt und ein Werk geschaffen, das nach einem zähen Mittelteil in einem explosiven Finale mündet.

Die Misswahl - Der Beginn einer Revolution (2020)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Die ewigen Kämpfe

Sowohl #MeToo als auch #BlackLivesMatter haben die internationale Protestkultur in den vergangenen Monaten massiv geprägt. In „Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution“, entstanden unter der Regie von Philippa Lowthorpe („Swallows and Amazons“), treffen die Kerninhalte beider Bewegungen aufeinander. Trotz einer Zeitreise von 50 Jahren in die Vergangenheit.

In London brodelt es. Während sich die Akademikerin Sally Alexander (Keira Knightley), geschiedene Mutter einer kleinen Tochter, für ein Zweitstudium im Bereich Geschichte an der Universität einschreibt, wächst eine neue Generation junger Frauen heran, die die bestehenden Vorstellungen gesellschaftlich konservierten Geschlechterrollen radikal aufbrechen will. Sie verweigern sich sozialer Etikette, Make-up, feiner Kleider und Schmuck, tragen stattdessen Pullis und Wollmützen, sprühen Graffiti über sexistische Werbeplakate und leben in einer kollektivistischen Wohngemeinschaft, in der sie über das Patriarchat schimpfen und Plakate anfertigen, um ihrem emanzipatorischen Anliegen Gehör zu verschaffen.

Bei einem Vortrag zum Thema Sexismus trifft Sally auf eine der Wortführerinnen dieser Gruppe, Jo Robinson (herrlich kess gespielt von Jessie Buckley, zuletzt zu sehen in I’m Thinking of Ending Things). Die Differenz zwischen beiden könnte auf den ersten Blick kaum größer sein: hier die gebildete, eloquente Akademikerin, die sich zu Hause mit ihrer Mutter über das weibliche Selbstverständnis streitet und an der Uni von Professoren wie Kommilitonen übergangen und kleingeredet wird – dort die rotzige Rebellin, die das System in Gänze verachtet und den Geist der 68er-Bewegung in ihrem Herzen und auf der Zunge trägt. Der Vortrag, der an diesem Abend gehalten wird, zeigt jedoch, dass beide in ihren Zielen geeint sind: „Was würdet ihr tragen, wenn das Patriarchat nicht wäre? Was würden ihr arbeiten, mit wem würdet ihr schlafen?“, heißt es da, bevor sich der Saal kollektiv zu standing ovations erhebt. 

Eine zufällige Begegnung auf der Straße später lädt Jo Sally schließlich in die Gemeinschaft ein. Dort muss Letztere feststellen, dass die Gruppe zwar ein hehres Anliegen verfolgt, es jedoch an der Umsetzung hapert. Mit den Medien wolle man nicht reden, die würden nur das herrschende System unterstützen, moniert die Gruppe. Aber wie solle eine breite Öffentlichkeit ohne die Medien erreicht werden, fragt Sally – und wird daraufhin zur Sprecherin der Aktivistinnen erkoren. Die haben sich ein ganz spezifischen Ziel für ihre nächste Aktion herausgesucht: die Wahl zur Miss World 1970.

Diese Wahl sollte, so erzählt es der Film letztlich, in doppelter Hinsicht historisch werden. Die Misswahl entwickelt deshalb neben dem Hauptplot rund um Sally Alexander und Jo Robinson zwei Nebenerzählungen, von denen sich zumindest eine als überaus relevant herausstellt. Die im Wesentlichen überflüssige dreht sich um den US-Entertainer Bob Hope (Grag Kinnear), der die Show moderieren sollte, und insbesondere um seine misogynen Entgleisungen. Die andere, deutlich wichtigere setzt zwei Teilnehmerinnen der Wahl in den Fokus: Jennifer Hosten aus Grenada (Gugu Mbatha-Raw) und Pearl Gladys Jansen (Loreece Harrison), eine von zwei Frauen aus Südafrika, die auf Drängen einer Anti-Apartheids-Initiative kurzfristig in den Kader aufgenommen wurde. Als schwarze Frauen scheinen beide keine Chancen auf den Sieg zu haben. Die Misswahl nimmt sich ihre Geschichte zum Anlass, um neben dem omnipräsenten Sexismus auch das Thema Rassismus aufzugreifen.

Auf diese Weise entsteht ein interessantes, ambivalentes Spannungsfeld: auf der einen Seite die Frauenrechtlerinnen, die gegen diese „Fleischbeschau“ (eine kurze, höchst effektive Szene im Finale macht deutlich, wie treffend dieser Begriff ist) in den Kampf ziehen; auf der anderen zwei junge Women of Color, die nach Repräsentation und Sichtbarkeit in einer von Weißen dominierten (Medien-)Welt ringen. Leicht hätte Die Misswahl den Fehler begehen können, diese beiden Gruppen und ihre Ambitionen gegeneinander auszuspielen – eine direkte Konfrontation kurz vor Schluss räumt derartige Bedenken jedoch aus. Nicht zuletzt auch, weil die Aktivistinnen immer wieder betonen, dass sich ihre Bestrebungen nicht gegen die Teilnehmerinnen, sondern die Veranstalter und „das System“ richten würden. So zeigt sich letztlich, dass sich dieses System am effektivsten verändern lässt, wenn der Prozess gleichsam von innen wie von außen angestoßen wird.

Bis es soweit ist, hat Die Misswahl jedoch einen langen und leider recht zähen Weg vor sich. Insbesondere dem zweiten Akt fehlt es an jener Dynamik und Energie, die die feministische Bewegung anfangs noch ausstrahlt, der Film beim sorgfältigen Auf- und Ausbau seiner Figuren aber nicht vermitteln kann. Wenn Sally mit ihrer Mutter darüber diskutiert, ob ihre Tochter nun die Vorberichte zur Misswahl schauen und Lippenstift tragen dürfe oder wie eine erfolgreiche Erziehungsarbeit im Allgemeinen aussehe, führt das zwar den Diskurs fort, den Die Misswahl aufgreift. Die Umsetzung jedoch fällt spannungsarm und ohne neue Erkenntnisse aus; die Inszenierung kommt routiniert, aber ohne auffällige Stärken daher.

Umso heftiger der Knall im Finale: Sobald die Protestaktion von der Planung in die Umsetzung geht und die Handlungsstränge zusammengeführt sind, spielt Die Misswahl all die Karten, die zuvor vorsichtig vom Stapel gezogen wurden, mit einem wuchtigen Schlag auf den Tisch aus. Und wenn im Epilog auch noch die realen Protagonistinnen dieser Geschichte gewürdigt werden, kann man kaum anders, als ein ähnlich verschmitztes Grinsen wie Jo Robinson aufzusetzen. Der Kampf für Gleichberechtigung ist noch lange, lange nicht vorbei – daran gemahnt Die Misswahl zwar wenig subtil, aber effektiv.

Die Misswahl - Der Beginn einer Revolution (2020)

Ein Film über den Wettbewerb zur Miss World 1970. Das Drehbuch aus der Feder von Rebecca Frayn basiert auf wahren Begebenheiten. Die Wahlen zur Miss World, 1970 in London von Bob Hope moderiert, waren damals mit mehr als 100 Millionen Zuschauern auf dem Höhepunkt ihrer Popularität. Umso mehr Aufmerksamkeit erregte es, als überraschend das neu formierte Women’s Liberation Movement die Bühne eroberte und die Live-Übertragung unterbrach. Aber auch das Endresultat des Schönheitswettbewerbs kam unerwartet: Es gewann nämlich nicht die Favoritin aus Schweden, sondern mit Miss Grenada die erste schwarze Miss World.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Patrick · 07.09.2020

Ein sehr ernstes Thema. Der Film geht zurück zu den Anfängen des Kampfes gegen Sexismus. Eine wahre Begebenheit ist der Hintergrund des Filmes. Für die jüngeren im Publikum heute wohl schwer vorstellbar, was damals so abging. Und dann ein Moderator einer Misswahl, der mit seinen Äußerungen über Aktivistinnen sehr stark dem heutigen US-Präsidenten ähnelt. Also wirklich ein wichtiges und ernstes Thema..... und dann so missratenen in Szene gesetzt. Der Film ist einfach schlecht gemacht. Zu lange und zu langweilig. Zu Hause kann man besser schlafen
2 von 10, aber nur wegen dem Thema. Sonst wären es 0 von 10. Der Film hat keine Chance, viele Menschen zu erreichen. Schade eigentlich