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Ein Dorf, das nicht vergisst: 1999 verschwindet der sechsjährige Rémi in einem kleinen Ort in den Ardennen spurlos. Handelt es sich um ein Verbrechen? Und warum behält der Nachbarsjunge Antoine, der die Hintergründe kennt, alles für sich? „Drei Tage und ein Leben“ kommt der Wahrheit auf die Spur und blickt dabei in menschliche Abgründe.

Drei Tage und ein Leben (2019)

Eine Filmkritik von Elisabeth Hergt

Schweigen im Walde

Ein ganzes Dorf macht sich 1999 auf die Suche nach einem vermissten Jungen, der wie vom Erdboden verschluckt ist. Ein anderer Junge, der um die Umstände weiß, kann helfen, den Fall zu lösen, aber er schweigt und bezahlt dafür auf subtile Weise mit seinem eigenen Leben. Nicolas Boukhriefs „Drei Tage und ein Leben“, nach dem Buch von Autor Pierre Lemaitre, ist ein Krimidrama mit bewährter Formel, das Ungeheuerliches hervorbringt und eine ausgleichende Gerechtigkeit vorschlägt, die es eigentlich nicht geben kann.

Das Ausmaß der Zerstörung ist nicht sofort ersichtlich, denn in der beschaulichen Gegend um die belgischen Ardennen scheint fast jeder etwas zu verbergen zu haben. Am 25. Dezember 1999 jedoch kommen zunächst alle Einwohner des kleinen Ortes Olloy zusammen, um sich auf die Suche nach dem sechsjährigen Rémi Desmedt (Léo Lévy) zu machen, der spurlos verschwunden ist. Die großangelegte Aktion, die von der Polizei um Gendarme Lambert (Dimitri Storoge) begleitet wird, liefert auch nach Tagen noch kein Ergebnis. Die umliegenden Wälder sind weiträumig angelegt, mitunter finster und undurchsichtig. Währenddessen gibt es aber erste Verdächtige, wie Michel (Charles Berling), den impulsiven Vater des Jungen oder Andreï Kowalski (Arben Bajraktaraj). Er ist der Metzger im Dorf und steht als „Ausländer“ sofort im Fokus der Bevölkerung. Überhaupt vermutet man schnell ein Verbrechen, auch wenn die Gemeinschaft nicht wahrhaben will, dass sich mitunter ein Mörder ganz in ihrer Nähe befindet.

Zeitgleich dazu muss der zwölfjährige Antoine Courtin (Jeremie Senez) alles mit ansehen, was um ihn herum geschieht. Er wohnt mit seiner Mutter Blanche (Sandrine Bonnaire) unmittelbar neben der Familie des Jungen, ist ein Freund von Rémi und hat oft auf ihn aufgepasst oder mit ihm gespielt. Bisher hat sich Antoine am liebsten mit der Anatomie des Menschen beschäftigt und sich dafür Bücher vom Dorfmediziner Dr. Hubert Dieulafoy (Philippe Torreton) geliehen, um später selbst Arzt werden zu können. Und er hat viel Zeit mit Émilie (Margot Bancilhon) verbracht, der großen Schwester des kleinen Rémi, in die er unsterblich verliebt ist. Seit Antoine sie jedoch dabei beobachtet hat, wie sie einen anderen Jungen küsst, ist er so furchtbar wütend, dass er schon kurz darauf eine Kette von Ereignissen auslöst, deren Folgen ihn noch bis ins Erwachsenenalter begleiten werden.

15 Jahre später kehrt Antoine (Pablo Pauly) schließlich wieder in seine Heimat zurück, an den Ort, der nicht vergessen hat, und zu den Menschen, die immer noch auf Antworten hoffen. Er ist tatsächlich Arzt geworden, möchte bald für längere Zeit nach Kairo gehen und besucht deshalb jetzt nochmal seine Mutter, um mit ihr zusammen Weihnachten zu feiern. Er trifft sogar Émilie wieder, die diesmal ernstes Interesse an ihm zeigt. Die Bewohner wirken vertraut, so als hätten sie sich in all den Jahren kaum verändert. Dr. Dieulafoy ist inzwischen in Rente gegangen, findet aber keinen Nachfolger für seine Praxis. Es ist die große Ruhe vor dem Sturm für Antoine, denn nicht nur seine Fassade bröckelt. Zu allem Unglück ist damals am dritten Tag der Suche nach Rémi ein großes Unwetter über das Land hinweg gezogen, das erheblichen Schaden angerichtet hat. Dazu kam eine Flut, die fast alles unter sich begraben hat und die doch auch dazu beiträgt, dass nun endlich die großen und kleinen Geheimnisse der Vergangenheit offengelegt werden. Im Wald wird eine Leiche entdeckt…

Mit Drei Tage und ein Leben hat Regisseur Nicolas Boukhrief (Made in France, La Confession) zum ersten Mal ein Skript inszeniert, das er nicht selbst geschrieben hat. Pierre Lemaitre, der Autor des 2016 in Frankreich erschienenen Romans Trois jours et une vie, hat sich auch des Drehbuchs angenommen und eine Adaption entwickelt, die sich eng an die Vorlage lehnt, dabei aber das moralische Dilemma der Figuren filmisch präziser ausverhandeln will. Das gelingt im Kern gut, wenn auch ohne neue dramaturgische Fallhöhe oder visuell herausragende Spannungsmomente. Kennt man die Grundprämisse des Romans schon, ist das eigentliche Rätsel schnell passé und die Charakterstudie rückt ins Zentrum des Geschehens. Ist man bisher unwissend, so sollte man es bleiben und der schleichenden Abkehr von Schuld und Verantwortung beunruhigt folgen, denn lange heiligt der Zweck alle Mittel.

Keine böse Absicht? Der Film etabliert früh ein Trauma auf der Grundlage einer Konfrontation mit dem Tod, manifestiert dann reale Ängste und buhlt damit beim Zuschauer auch um Sympathie und Verständnis. Letztendlich schließt sich aber der Kreis und man kann vermuten, mit welchem Detail das Unglück eigentlich schon seinen Lauf nahm und wie so viele Chancen zur Rehabilitation wohl nur deshalb ungenutzt blieben, weil sich Täter und Mitwisser anscheinend unentdeckt den Konsequenzen entziehen konnten. Zu spät erst wird ihnen klar, dass der Preis für das Schweigen zu hoch ist.

Drei Tage und ein Leben (2019)

Als der kleine Rémi in einem Dorf in den Ardennen verschwindet, stehen alle unter Schock. Schnell ist die Rede von Kindesentführung, plötzlich steht jeder unter Verdacht, der sich anders als sonst verhält. Eine groß angelegte Suchaktion im angrenzenden Wald bleibt ergebnislos. Am dritten Tag nach Rémis Verschwinden muss die Suche wegen eines verheerenden Sturms abgebrochen werden. In diesen drei endlosen Tagen lebt Antoine mit der unerträglichen Angst, entdeckt zu werden. Er ist der Einzige, der weiß, was wirklich geschah.

15 Jahre später: Als Antoine nach seinem Studium zurückkehrt, ist das Dorf kaum verändert. Aber Waldarbeiter haben endlich begonnen, die Sturmschäden zu beseitigen. Aus Angst vor der drohenden Entdeckung fasst Antoine einen fatalen Entschluss.  

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