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Im Jahre 2010 sorgte Hissa Hilal für einiges Aufsehen in einer Casting-Show namens Million’s Poet, als sie dort bis ins Finale vordrang und mutig die Stimm erhob gegen religiösen Fanatimus und für die Rechte der Frauen in Saudi-Arabien. „The Poetess“ erzählt ihre Geschichte.

The Poetess (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Augen ohne Gesicht

Seit kurzem gibt es Hoffnung, dass sich die Situation im streng muslimischen und erzkonservativen Saudi Arabien grundlegend ändern könnte. Dies liegt vor allem am saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der die Befugnisse der allgegenwärtigen religiösen Sittenwächter beschnitt,  Kinos zuließ, Frauen das Autofahren erlaubte und die strengen Kleidungsvorschriften lockerte. Auch wenn mancher politische Beobachter hinter dem Reformschub der kleinen Schritte vor allem einen Machtkampf des Prinzen mit seinen politischen Widersachern vermutet, machen diese Maßnahmen dennoch Hoffnung, dass sich vor allem die Situation der Frauen in dem Land verbessert.

Das ist auch bitter nötig — wie sehr, das beweisen unter anderem Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff in ihrem Dokumentarfilm The Poetess, der letztes Jahr beim Filmfestival in Locarno seine Weltpremiere feierte. Der Film erzählt von der heute 50-jährigen Dichterin und Aktivistin Hissa Hilal, die sich im Jahre 2010 mit der Erlaubnis ihres Mannes zu der Fernsehshow Million’s Poet in den Vereinigten Arabischen Emiraten angemeldet hatte.

Das in der arabischen Welt sehr beliebte Casting-Format soll eigentlich mit hohen Preisgeldern die beduinische Tradition der Nabati-Dichtung in der Region am Leben erhalten, doch in der dritten Runde ließ die stets im Nikab auftretende Hissa Hilal die Bombe platzen: „Viele Dichter sprechen nur über Banalitäten, doch wer die Bühne betritt, sollte etwas Wichtiges zu sagen haben“, so setzte sie an und antwortete dann mit einem Gedicht auf die kurz zuvor ergangene Fatwa eines saudischen Predigers, der sich gegen die Vermischung der Geschlechter ausgesprochen hatte. Und sie tat dies in einer Deutlichkeit, die man aus ihrer Heimat nicht kennt: „Das Böse sehe ich funkeln in den Augen der Fatwas / Wenn ich die Wahrheit enthülle, kriecht das Monster aus seinem Versteck.“ 

Immer wieder sehen wir die verhüllte Gestalt Hissa Hilals, die immerhin vor einem Auftritt den Augenschleier abnimmt, weil sie zuvor kaum die Worte auf dem Papier sah und den Ausgang von der Bühne nicht fand. Sonst aber erfährt man — wohl auch zum Schutz der Dichterin — nur Rudimentäres über ihr Leben, weiß nur wenig über ihre Biografie, ihre Lebensumstände, ihre künstlerischen Ambitionen. Dass sie aus einer Beduinenfamilie stammt, verheiratet ist und vier Kinder hat, st schon das Maximum eines Backgrounds, der allerdings nicht sehr viel aussagt über das Leben einer begabten Frau in einer Gesellschaft wie der saudi-arabischen. 

Und genau das erweist sich als großes Dilemma dieses Films: Einer Hautdarstellerin ohne Gesicht nahezukommen, von der man nur die Augen sieht, ist ein Ding der Unmöglichkeit — und auch The Poetess weiß dies nicht überzeugend zu lösen. Immer wieder schweifen Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff ab, greifen zurück auf Archivmaterial und zeigen, wie vergleichsweise liberal Saudi-Arabien einmal war. Erst ein verheerender Anschlag auf die große Moschee in Mekka im Jahr 1979 (bekannt als „die Besetzung der großen Moschee“) durch radikale Islamisten, bei dem mehr als 200 Menschen starben und rund 500 verletzt wurden, veränderte die Lage im Land auf drastische Weise. Das Datum markiert bis heute — auch wenn es im Westen in dieser Bedeutung nicht wahrgenommen wird — den Beginn des Kampfes des Islam gegen sich selbst, den fast vollständigen Bruch mit seiner Tradition, den Verlust des kulturellen Gedächtnisses, seine zivilisatorische Amnesie, wie es Navid Kermani bei seiner Friedenspreisrede im Jahre 2015 beschrieb.

Solche Beschreibungen sind zwar gut und wichtig und sie versehen die eigentlich recht dünne Geschichte um eine saudische Poetin mit Kontext. Doch zugleich lenken sie ab von der Hauptperson Hissa Hilal, über die man mit einigen kurzen Recherchen im internet mehr erfahren kann als durch einen gesamten Film. Und so bleibt The Poetess von seiner Thematik her zwar ein ungemein wichtiger Film, doch er vermag die Brisanz seiner Hauptperson und die Faszination, die von dieser Frau ausgeht, nicht adäquat auf die Leinwand zu bringen, sondern allenfalls einen ersten Anstoß dazu geben, tiefer in die Materie einzutauchen.

The Poetess (2017)

Hissa Hilal schaffte etwas, was vorher noch keiner Frau gelang: Sie erreichte das Finale der Reality-TV-Show “Million’s Poet” aus Abu-Dhabi, ein Dichter-Wettbewerb, der von Männern dominiert und mit einem Preisgeld von 1 Million Dollar dotiert ist. Vor 75 Millionen Zuschauern kritisiert Hissa Hilal, die in Abaya und Nikab gekleidet auf die Bühne tritt, in ihren Gedichten die patriarchale arabische Gesellschaft und prangert einen für seine extremistischen Fatwas berüchtigten Geistlichen an.

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