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Tony Conrad (1940-2016) war Musiker, Filmemacher, bildender Künstler – und bei allem ein Querkopf. Tyler Hubby hat den kreativen US-Amerikaner über viele Jahre hinweg bei seinem Schaffen beobachtet.

Tony Conrad - Completely in the Present (2016)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ein Tausendsassa der experimentellen Kunst

Tony Conrad sei nicht leicht einzuordnen, heißt es zu Beginn von Tony Conrad – Completely in the Present in einem Statement des US-Video- und Installationskünstlers Tony Oursler; viele seiner Arbeiten seien verrückterweise gar nicht bekannt. Tyler Hubby – seit Mitte der 1990er Jahre unter anderem als Regisseur, Kameramann, Editor und Produzent überwiegend im Kurz- und Dokumentarfilmbereich tätig – hat Conrad indes für sein Langfilmdebüt über mehr als zwei Dekaden hinweg begleitet und liefert ein Werk, das dem 1940 in New Hampshire geborenen und 2016 in New York verstorbenen Tausendsassa tatsächlich sehr nahekommt und eine Ahnung von dessen Ideenreichtum zu vermitteln vermag.

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Als Conrad zwischen 1957 und 1962 Mathematik an der Harvard University studierte und zwischen Baltimore und Boston pendelte, traf er bei seinen Zwischenstopps in New York häufig den Musiker La Monte Young. Nach seinem Abschluss schloss er sich dessen Theatre of Eternal Music (auch The Dream Syndicate genannt) an und führte dort einen extrem reduzierten Prozess der Klangerzeugung ein, welcher zur Begründung des musikalischen Minimalismus führte. Dies war allerdings nur die erste von etlichen Stationen in Conrads Vita. So ging er etwa gemeinsam mit seinem Freund und Dream-Syndicate-Kollegen John Cale auf Rock’n’Roll-Tournee mit Lou Reed (ehe Reed und Cale in seinem billigen Apartment die Band The Velvet Underground ins Leben riefen); er war für Jack Smiths Flaming Creatures (1963) als sound recordist tätig und kreierte mit The Flicker (1966) einen stilbildenden structural film, ehe er mit seiner Yellow-Movies-Reihe Anfang der 1970er Jahre über Zeitlichkeit nachdachte und nachdenken ließ, indem er helle Anstrichfarbe auf großformatige, schwarz umrahmte Papiere auftrug und durch das allmähliche Vergilben der Papiere und das Altern der Farbe Langzeit-„Filme“ schuf, gegen die sogar Andy Warhols Fünfeinhalbstünder Sleep (1964) rasch zu konsumieren war. Ferner arbeitete Conrad als Dozent in Ohio und New York und erkannte den Reiz sowie die Möglichkeiten des Mitmachfernsehens. In den 1990er Jahren erlebte seine Kunst eine Wiederentdeckung und neue Wertschätzung.

Tyler Hubby lässt (neben anderen) die Musiker Moby und Jim O’Rourke sowie den Museumsdirektor Philippe Vergne und zahlreiche Weggefährt_innen zu Wort kommen; überdies bietet er eine enorme Fülle von Archivaufnahmen, die das beachtliche Œuvre von Conrad demonstrieren. Die Herzstücke des Dokumentarfilms sind jedoch unzweifelhaft die Aussagen des Künstlers himself – wenn dieser beispielsweise erläutert, wie wenig er stets von der Idee gehalten habe, als Komponist Karriere zu machen (wie es etwa die Minimal-Music-Vertreter Philip Glass, Steve Reich und La Monte Young taten); vielmehr habe er das mit Autorität und Macht verbundene Konzept von Komposition zerstören wollen. Herrlich ist auch, wenn Conrad mit sichtlicher Freude berichtet, wie seine Arbeit Unverständnis oder gar Entrüstung hervorrief – was ihn nur noch mehr davon überzeugt habe, offenbar etwas sehr richtig gemacht zu haben. Das Privatleben von Conrad – die Ehe, aus der ein Sohn hervorging – wird hingegen nur kurz gestreift; im Fokus stehen klar das künstlerische Tun sowie Conrads universitäre Tätigkeit und die Herausforderung der Norm, die der US-Amerikaner in beiden Bereichen wagte. Seine kreativen Eingebungen (zum Beispiel Zelluloid einzukochen und in Einmachgläsern auszustellen statt etwas darauf zu bannen) und seine unkonventionellen Lehrmethoden (auch via Skype) werden umfassend veranschaulicht; seine Musik wird zudem in Zusammenhang mit seinem mathematischen Hintergrund gebracht.

Tony Conrad – Completely in the Present erinnert somit an einen Mann, der sich erfolgreich gegen eine Professionalisierung und Vereinnahmung seiner Kunst gewehrt hat und der mit großem, ansteckend wirkendem Vergnügen auf sein Schaffen zurückblicken konnte. Wenn Conrad am Ende des Films den Straßenverkehr regelt, als dirigiere er ein Orchester, findet Hubby eine treffende Schlusssequenz für sein Porträt eines überaus fantasie- und humorvollen Menschen.
 

Tony Conrad - Completely in the Present (2016)

In dem Dokumentarfilm wird das Leben und die Arbeit von Tony Conrad (1940 bis 2016) vorgestellt, der als Filmemacher, Musiker, Videokünstler und Pädagoge gearbeitet hat. Obwohl er der breiten Öffentlichkeit eher unbekannt war, gilt er als einer der größten amerikanischen Künstler seiner Zeit und hat während seines fünfzigjährigen Wirkens Generationen von Menschen inspiriert. 

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