Haus Tugendhat

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Steingewordene Noblesse

Manchmal wäre es schön, wenn ein Gebäude erzählen könnte, denn wenn wir uns mit ihm auseinandersetzen, vielleicht sogar darin leben, sind wir doch letztlich nur ein winziger Teil dessen, was es über die Jahre beherbergt. Eine geradezu wahnsinnige Geschichte hat auch die Villa Tugendhat im tschechischen Brno hinter sich. Der Dokumentarfilm Haus Tugendhat lässt das Gebäude erzählen.
1928 gaben der Textilindustrielle Fritz Tugendhat und seine Frau Grete ein Wohnhaus bei dem jungen Architekten Mies van der Rohe in Auftrag. Gemütliche kleine Stuben voller Dekoration und Tand fanden sie schrecklich, und so war die Wahl des Architekten äußerst passend, denn der gebürtige Aachener war vom Bauhaus inspiriert und bekannt für seine klaren Linien, hochwertigen Materialien und minimalistischen Formen. So avancierte denn auch das Haus Tugendhat oberhalb der Stadt mit seiner versenkbaren Fensterfront, den weitläufigen Räumen und der wertvollen Onyxwand zu einem der maßgeblichen Bauwerke moderner Architektur.

In seinem Dokumentarfilm widmet sich Regisseur Dieter Reifarth trotzdem nicht nur bautechnischen Aspekten des Hauses, sondern in erster Linie der wechselvollen Vergangenheit seiner Bewohner. Nur sieben Jahre lang konnte die Familie Tugendhat ihr prachtvolles Domizil genießen, bevor sie über die Schweiz nach Venezuela vor den Nazis fliehen musste. In der Folgezeit wechselten die Nutzer der Villa häufig: Soldaten der Roten Armee, die orthopädische Abteilung eines Kinderkrankenhauses, ein Hausmeisterpaar – sie alle wussten Mies van der Rohes Meisterleistung nicht ausreichend zu würdigen. Bei den dort stattfindenden Verhandlungen über die Trennung der Tschechoslowakei schrieb die Villa Tugendhat schließlich erneut Geschichte, Film und Fernsehproduktionen fanden in dem zunehmend heruntergekommenen Gebäude einen Ort, bis nach einer umfassenden Restauration endlich die Tugendhat-Schwestern wieder das Haus besichtigen konnten, in dem sie als Kinder gelebt hatten.

Haus Tugendhat will uns ganz tief hineinziehen in die Geschichte seiner ursprünglichen Besitzer. Zahlreiche persönliche Fotos und private Aufnahmen bilden ein schönes Portrait der geistreichen Patchwork-Familie und verknüpfen sich zu einem dichten Teppich aus Erinnerungen, der von Zeit zu Zeit beinahe den eigentlichen Gegenstand des Dokumentarfilms vergessen lässt. Denn die filmische Machart von Haus Tugendhat ist durchaus vergleichbar mit dem gleichnamigen Gebäude.

Natürlich polarisierte die Villa nach ihrer Fertigstellung durch die moderne Bauweise, die manch einer weniger elegant als ungemütlich und unnahbar empfand, sowie durch die teuren Materialien, die Kritiker als dekadent verabscheuten. Genau das machte aber auch den Reiz des Bauwerkes aus: „Ich fühlte mich dort wohl, wegen dieser eigenartigen Noblesse“, erinnert sich eine Frau, die als junges Mädchen im riesigen Wohnzimmer der Villa Tugendhat mit anderen Kindern der orthopädischen Abteilung geturnt hatte. Noblesse – das bringt es wohl auf den Punkt. Gleich zu Beginn fährt die Kamera in langsamen Schwenks erkundend über die weißen Marmorwände. Von Weitem wirken sie glatt und ebenmäßig, erst in der Nähe wird deutlich, dass sie ihre raue Oberflächenstruktur beibehalten haben. Sie sind wunderschön, nobel – aber auch kühl und abweisend.

Haus Tugendhat schafft eine Faszination, aber mehr auch nicht. Kein wirkliches Gefühl für die zu Wort kommenden Menschen und auch keine bleibende Erinnerung an einen herausragenden Film. Er bleibt trotz aller Versuche lediglich das nüchterne Dokument der Vergangenheit eines ergreifend schönen Gebäudes. Ich möchte gern einmal zu Mies van der Rohes Villa fahren, mit den Fingern über den kühlen Marmor streichen, die Muster der Onyxwand betrachten und den sagenhaften Lichteinfall durch die riesigen Fenster bewundern, aber wohnen möchte ich dort nicht.

Haus Tugendhat

Manchmal wäre es schön, wenn ein Gebäude erzählen könnte, denn wenn wir uns mit ihm auseinandersetzen, vielleicht sogar darin leben, sind wir doch letztlich nur ein winziger Teil dessen, was es über die Jahre beherbergt. Eine geradezu wahnsinnige Geschichte hat auch die Villa Tugendhat im tschechischen Brno hinter sich. Der Dokumentarfilm „Haus Tugendhat“ lässt das Gebäude erzählen.
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