Log Line

Wie in unzähligen Coming-of-Age-Filmen geht es auch in Deborah Haywoods Pin Cushion um Mobbing, Gruppenzwang, das Streben nach Selbstbestimmung bei gleichzeitigem dazugehören wollen. Die dezidiert weibliche Perspektive und der märchenhafte Ton machen aus dem Film trotzdem etwas ganz besonderes.

Pin Cushion (2017)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Nadeln im Kissen

Märchen mögen faszinierende Feen und Zauber beinhalten und man stellt sich gern die Prinzessinnen in den schönen Kleidern vor. Aber besinnt man sich von den disneyfizierten Versionen zurück auf das Ursprungsmaterial, fragt man sich oft, was für grausame Geschichten man da eigentlich den Kindern erzählt. Mit Pin Cushion ist es ähnlich.

Der Titel von Deborah Haywoods Langfilmdebüt ist genauso vieldeutig zu verstehen, wie man sich das im ersten Moment denkt. „She takes more pricks than a pin cushion“, lautet ein britisches Sprichwort für promiskuitive Frauen. Wir sehen den Titel zu Beginn als Stickerei auf einem Kissen, bonbonbunt und niedlich, mit glänzenden Perlen und Pailletten verziert. Gut möglich, dass dieses Kissen irgendwo im Haus von Iona (Lily Newmark) und ihrer Mutter Lyn (Joanna Scanlan) liegt, denn dieses Haus, das Herzstück des ganzen Films, ist ein einziger Überfluss. Der Film beginnt mit dem Einzug von Mutter und Tochter: Lyn trägt eine pelzige Katzenmütze und verschieden hohe Schuhe und ihre Tochter ist unter diversen Lagen rosafarbenen Stricks begraben. Es dauert jedoch nicht lange, bis man in dieser Welt der Porzellanfigürchen, Cupcakes und Plüschkatzen auch die düsteren Abgründe entdeckt, die Nadeln im Kissen.

In Pin Cushion spürt man den Einfluss von Teeniefilmen der 1970er bis 1990er Jahre: ein bisschen Carrie, ein bisschen Heavenly Creatures, auch wenn die Gewalt nie so richtig blutig ausbricht, sich eher auf psychologischer Ebene abspielt. Es geht um Mobbing, um Gruppenzwang, den Drang als Teenager dazuzugehören zu wollen, sich kaum wieder von einer Rolle freimachen zu können, wenn man sie erst einmal angenommen hat. „Wenn ich in eine andere Stadt ziehen würde, wäre ich ganz anders“, seufzt Keely (Sacha Cordy-Nice), die Anführerin einer angesagten Mädchenclique einmal in einem schwachen Moment. In ihrer gegenwärtigen Rolle sieht sie es allerdings als ihre Aufgabe an, Iona das Leben schwerzumachen. Obwohl die Zeichen zuerst auf Annäherung stehen: mit schwarzem Edding unterschreibt Keely auf Ionas Federtasche – das wirkt nicht wirklich wie eine Freundschaftsbekundung. Vielmehr als würde sie der Neuen ihr Brandzeichen verpassen. Aber Iona lässt sich nicht vollends vereinnahmen und wagt es sich zu wehren, als man ihre Mutter als hässlichen Freak verunglimpft – also wird sie aus der Clique geworfen, vor der Klasse gedemütigt.

In Pin Cushion werden durchweg alle Konflikte von Frauen ausgetragen. Vereinzelt tauchen Jungs auf, aber sie bekleiden Rollen, die sonst nicht selten den Mädchen zufallen: sie sind willenlose love interests, manipulierbare Werkzeuge. Während wir uns mit Iona durch die zahlreichen Herausforderungen des Erwachsenwerdens quälen, verweist Deborah Haywood aber auch darauf, dass nicht für alle Mobbingopfer das Schlimmste mit der Highschool vorbei ist. Lyn trägt ihre unterschiedlich hohen Schuhe nicht aus purer Exzentrik, sondern weil sie verschieden lange Beine und einen Buckel hat. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, in der neuen Nachbarschaft Freunde zu finden – aber das hat wohl schon in der Vergangenheit nicht sonderlich gut funktioniert, also ist die Tochter ihr einziger Lebensinhalt. All die Plüschtiere und Figürchen sind nicht nur als Dekoration gedacht. Im Grunde sind es Versuche, die Zeit anzuhalten, Iona zu infantilisieren. Denn ist sie einmal aus dem Haus, hat Lyn niemanden mehr.

Es ist nur folgerichtig, dass all das stille Leiden, die stummen Tränen und gesenkten Blicke in Pin Cushion irgendwann in Aktion, in Wut umschlagen müssen. Der Weg dahin ist holprig, uneben, nicht immer ist das Verhalten der Figuren nachzuvollziehen. Aber Deborah Haywood hat schließlich auch keinen sozialrealistischen Film über Mobbing gedreht, sondern die Märchenversion. Trotz der Bitterkeit ihrer Geschichte scheint darin auch immer wieder Hoffnung durch, die pure Freude an der Weiblichkeit. In Ionas Tagträumen schließen die bullies Frieden oder bekommen endlich was sie verdienen – je nach Tagesform. Sie erkämpft sich ihre Unabhängigkeit, lernt, sich selbst genug zu sein, entdeckt ihre Sexualität. In diesen Momenten scheint sich ein weicher Schleier über die Kamera zu legen, kaleidoskopartig falten sich die Bilder auf, lassen uns an Ionas Genuss teilhaben und gewähren ihr doch einen privaten Freiraum irgendwo zwischen Realität und Traum.

Pin Cushion (2017)

Lyn und ihre Tochter Iona sind sich eigentlich recht nahe — und dass soll erst recht so bleiben, als die beiden in eine neuen Stadt ziehen. Doch dort lernt Iona dort drei Mädchen kennt, die fortan ihren engsten Bezug bilden. Und Lyn fühlt sich plötzlich auf sich allein gestellt. Also freundet sie sich mit ihren Nachbarin Belinda an. Doch so sehr sich Lyn und Iona auch gegenseitig versichern, dass in ihrem Leben alles bestens liefe, desto mehr entwickeln sich für Mutter und Tochter die Dinge in die falsche Richtung.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Bee the first · 12.12.2018

Pin Cushion
Dieser Film hat mich gefesselt und überrannt von der ersten Sekunde in jeder Hinsicht.
Besser geht es NICHT!
Dieser Film wäre für alle Schüler ein Pflichtprogramm auf jeder Schule !
Zielgenau direkt ins Herz getroffen