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Mit Laissez Bronzer Les Cadavres liefert das Regieduo Hélène Cattet und Bruno Forzani einen Sergio-Leone-Gedächtnisspaghettiwestern. Aber wo die Italiener der 1970er Jahre aus der Not heraus ihren unverwechselbaren Stil entwickelten, ist bei den Belgiern jederzeit kaltes Kalkül spürbar.

Leichen unter brennender Sonne (2017)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Ein Film aus Leichenteilen

Blut, Gold, Farbe, Pisse, Fleisch, Sonne — es ist alles dasselbe in Laissez Bronzer Les Cadavres: Licht, Pigmente, Material, das existiert und allein deswegen begehrt und fetischisiert werden darf. Das tun die Figuren im dritten Film des belgischen Regieduos Hélène Cattet und Bruno Forzani — und die Filmemacher tun es auch.

Nachdem sie zuvor in Amer und The Strange Color Of Your Body’s Tears den Giallos von Dario Argento und Mario Bava ein Denkmal gesetzt hatten, kanalisieren sie in Laisser Bronzer Les Cadavres ihren inneren Sergio Leone. Zu Beginn treten zwei Räuber mit Frankensteinmasken auf – das Motiv der wiederverwerteten Leichenteile zieht sich dann so durch, nicht nur wegen des Body Counts. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman des französischen Néo-Polar-Autors Jean-Patrick Manchette, lässt sich für seinen Look von Spaghettiwestern inspirieren und leiht sich Musik von Ennio Morricone, die verzerrten Chorgesänge aus Chi l’ha vista morire? zum Beispiel.

Cattet und Forzani sind keine Geschichtenerzähler und halten es nicht allzu sehr mit der Moral, das ist prinzipiell erfreulich. Ein großer Anteil der Sozialkritik des Romans ist in ihrer Adaption zugunsten des Bilderstrudels zurückgedrängt. Eine Künstlerin (Elina Löwensohn) lebt mit dem gealterten Schriftsteller Bernier (Marc Barbé) zurückgezogen auf der Suche nach Inspiration in einer verfallenen Ruine auf einem Hügel. Es muss einmal ein sehr schöner Ort gewesen sein, der Blick über das Mittelmeer ist atemberaubend. Aber ihre Ruhe wird gestört, denn nicht nur tauchen Berniers Frau samt Kind und Hausmagd unangemeldet auf, sondern auch zwei Gangster, die bei einem Überfall einen Haufen Goldbarren erbeutet haben und nun Unterschlupf suchen. Spätestens als noch zwei Gendarmen in knarzenden Lederuniformen dazu stoßen, entwickelt sich der Rest des Films über den Verlauf eines Nachmittags und einer Nacht zu einem einzigen Shootout.

Sonderlich hartgesotten muss man für Laissez Bronzer Les Cadavres trotzdem nicht sein, denn er ist so erratisch geschnitten, dass bis auf ein paar Blutspritzer kaum etwas zu erkennen ist. In der ersten Szene – sie beginnt mit einem ohrenbetäubend peitschenden Schuss – braucht man sogar einige Sekunden, um überhaupt zu bemerken, dass mit Farbe auf eine Leinwand geschossen wird, statt mit Kugeln auf einen Körper. Es ist schwierig, in dem allgemeinen Durcheinander noch zu verfolgen, wer wen hintergeht, wer auf wen anlegt. Man möchte sich dann gern ganz den Bildern übergeben, im groben Korn des 16mm-Materials schwelgen, den Blick in die tiefen Schatten der Gegenlichtaufnahmen versenken. Nur machen Cattet und Forzani einem das nicht leicht. Selbst wenn man ihren Film mögen will, kommt man nicht umhin festzustellen, dass daran auch etwas Unsympathisches ist. 

Warum sie so viele Close-Ups verwenden, fragt ein Zuschauer nach der Rotterdamer Aufführung im Q&A, und Forzani antwortet, das sei ein nützliches Mittel, wenn nicht genug Geld für aufwändige Sets vorhanden sei. Auch in dieser Hinsicht ist Laissez Bronzer Les Cadavres im Grunde nah bei seinen Vorgängern. Aber wo die Italiener in den 1970ern aus tatsächlicher Not ihre Tugenden, ihren unverwechselbaren Stil entwickelten, ist Cattet und Forzani in jeder Sekunde das Kalkül anzumerken. So wie die Gangster im Film angesichts der glänzenden Goldbarren jeglichen Verstand und jegliches Mitgefühl ausblenden, so scheinen auch die Regisseure jedes Maß zu verlieren. Immer wieder blenden sie Rot auf Schwarz Zeitangaben ein, wiederholen die Szene aus einer anderen Perspektive. Dann folgt die Zeitangabe erneut, dann eine dritte Perspektive, eine Rückblende zu einer unbestimmten Vergangenheit, eine Zeitangabe, eine neue, überwältigende Perspektive, alles im Verlauf von Sekunden. Laissez Bronzer Les Cadavres ist hyperaktiv, regelrecht nervig, malträtiert seine Zuschauer, gibt keine Gelegenheit das Gesehene zu verarbeiten. Löwensohn bestätigt im Q&A das extrem planvolle Vorgehen, schon vor dem Dreh sei jedes Wort, jede Bewegung bis ins Detail festgelegt. Das Ergebnis wirkt kalt und unfrei trotz aller Faszination, man beginnt den visuellen Sensationen zunehmend indifferent gegenüberzustehen. Dabei steckt der Film voller interessanter Ansätze. Allein fünf Monate Arbeit waren für das Sounddesign nötig, mehr als für den Dreh selbst. Dabei arbeiten die Filmemacher mit diversen Tonspuren gleichzeitig, die manche Geräusche extrem hervorheben, andere beinahe unbemerkt mitfließen, sich in das Unterbewusstsein des Zuschauers fressen lassen. Schade nur, dass oberhalb des Unterbewussten nicht viel hängen bleibt.

Leichen unter brennender Sonne (2017)

Nach ihren beiden Giallo-Verneigungen „Amer“ und „The Strange Color of Your Body’s Tears“ warten vor allem Fans von Dario Argento sehsüchtig auf das neue Werk des belgischen Regieduos Hélène Cattet und Bruno Forzani. Der Film beruht auf dem gleichnamigen Roman von Jean-Patrick Manchette und Jean-Pierre Bastid aus dem Jahr 1971 und handelt von einer Künstlerin, deren Abgeschiedenheit von einer Gangsterbande gestört wird, die mit 250 Kilogramm Gold auf der Flucht ist.

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