Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Eine Dreiecksgeschichte aus viktorianischer Zeit

Die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft dreier junger Menschen aus gebildeten Kreisen zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende ist das Thema dieses Dramas von François Truffaut aus dem Jahre 1971. Entstanden nach dem Roman Die beiden Engländerinnen und der Kontinent / Deux anglaises et le continent des französischen Schriftstellers Henri-Pierre Roché beschäftigt sich der Film auf intensive Weise mit den Gefühls- und Liebeswirren eines außergewöhnlichen Trios, das im ausklingenden viktorianischen Zeitalter in England eine gleichermaßen anregende wie aufregende Zeit miteinander verbringt, die sich bedeutsam auf das weitere Leben der Drei auswirken wird.
Bei einem Aufenthalt in Paris lernt die junge Engländerin Ann Brown (Kika Markham) den jungen, belesenen Franzosen Claude Roc (Jean-Pierre Léaud) kennen und schätzen, der mit seiner wohlhabenden Mutter (Marie Mansart) zusammenlebt. Zurück zu Hause lädt Ann Claude nach Wales ein, wo sie gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Muriel (Stacey Tendeter) und ihrer sittenstrengen Mutter (Sylvia Marriott) ein recht zurückgezogenes und schlichtes Leben führt. Hatte Ann von Anfang an im Sinn, dass aus Muriel und Claude, den sie selbst insgeheim verehrt, ein passendes Paar werden könnte, zeigt sich rasch, dass die beiden tatsächlich Gefallen aneinander finden, und zu dritt durchstreifen sie die ländliche Gegend, betätigen sich sportlich und diskutieren über die brennenden Fragen ihrer jungen Gedankenwelten. Die Schwestern nennen den weltoffen anmutenden Franzosen den „Kontinent“, der auch als Repräsentant einer anderen Kultur ebenso wie des anderen Geschlechts frischen Wind in ihr abgeschiedenes Dasein bringt.

Als sich die keuschen Liebeskeimungen zwischen Muriel und Claude zuspitzen und der Franzose um ihre Hand anhält, ist weder Mrs. Brown noch Madame Roc, die aus Paris anreist, von der Nachhaltigkeit dieser Absichten überzeugt. Es wird vereinbart, dass die junge Liebe ein Trennungsjahr überstehen soll, um ihre Ernsthaftigkeit zu prüfen. Während sich Claude daraufhin in Paris als Kunsthändler betätigt und nach und nach seine erotischen Interessen für Frauen entdeckt, erlebt Muriel eine qualvolle Zeit der Depression, zumal ihre empfindlichen Augen sich zunehmend verschlechtern. Schließlich schreibt Claude ihr einen Brief nach Wales, in dem er Abstand von seiner Liebe nimmt, was Muriel in eine heftige Krise voller Selbstzweifel stürzt.

Eines Tages reist Ann erneut nach Paris, um sich als Bildhauerin ausbilden zu lassen. Als sie Claude nun wiederbegegnet, mündet ihre Freundschaft rasch in eine Liebelei, ohne dass sie daran denken, sich dauerhaft miteinander zu verbinden. Ann genießt ebenso wie Claude ein freizügiges Leben, unternimmt weitere Reisen und kehrt letztlich nach Wales zurück, wo sie später an Tuberkulose verstirbt. Noch einmal gibt es nach Jahren einen Kontakt zwischen Claude und Muriel, und als sie sich verabreden, kommt es doch noch zu Intimitäten zwischen ihnen…

Von der Stimme eines kommentierenden Erzählers begleitet ereignen sich die intensiven Beziehungen der drei jungen Menschen innerhalb der strengen viktorianischen Moral, die sie am Ende jeder auf seine Weise hinter sich lassen werden. Trotz ihrer großen Zuneigung zu Claude hat sich Ann dazu entschieden, den einfühlsamen Franzosen ihrer Schwester Muriel zu überlassen, doch deren idealistische Vorstellung von Liebe scheitert an Claudes Drang zu differenzierten Erfahrungen auf diesem Terrain, die die Romantik der ewigen Zweisamkeit rüde relativieren. Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent stellt die bewegte und mitunter auch bewegende Geschichte dreier junger Menschen und ihrer höchst unterschiedlich verlaufenden Emanzipation von den vorherrschenden Werten ihrer Herkunft und Zeit dar, deren Schicksal zwar eng miteinander verbunden ist, die aber dennoch im Dickicht von Konvention und Unentschlossenheit keine dauerhafte gemeinsame Ausrichtung erreichen können. Nimmt sich auch die Schilderung der inneren Befindlichkeiten der Protagonisten ansprechend präzise aus, ergeht sich die Dramaturgie insgesamt doch bei Zeiten in hübsch anzuschauenden Längen. Auch kommt der für Regisseur François Truffaut typische, filigran-hintergründige Humor in diesem Film kaum zum Tragen, so dass die Figuren in ihren emotionalen Verstrickungen versickern, die den Zuschauer letztlich kaum mehr berühren.

Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent

Die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft dreier junger Menschen aus gebildeten Kreisen zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende ist das Thema dieses Dramas von François Truffaut aus dem Jahre 1971.
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