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Wie wurde Astrid Lindgren zu Astrid Lindgren? Pernille Fischer Christensen erzählt in ihrem Film von den prägenden Jugendjahren der Schriftstellerin.

Astrid (2018)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Die Jugendjahre von Astrid Lindgren

Es ist Astrid Lindgrens Geburtstag, so viel wird klar, als die ältere Frau an dem Schreibtisch beginnt, die Post zu öffnen. Glückwünsche von Kindern erreichen sie, Bilder, Karten und sogar eine Kassette, auf der eine Schulklasse erzählt, was die Bücher der schwedischen Autorin für sie bedeuten – und ihr Fragen stellen.

Mit dieser Kassette beginnt nun ein Rückblick in die Jugendzeit von Astrid – und die Fragen der Kinder werden immer die Ereignisse kommentieren. Im Alter von 16 Jahren hat Astrid Ericsson (Alba August) mit ihren Eltern (Marie Bonnevie; Magnus Krepper) und Geschwistern ein einfaches, aber sorgenfreies Leben in Småland. Sie ist verrückt und mutig, sie erscheint lebenshungrig. Dann bekommt sie die Chance, als Assistentin bei der lokalen Zeitung zu arbeiten – und der Redakteur Blomberg (Henrik Rafaelsen) erkennt nicht nur ihr Schreibtalent, sondern entwickelt auch Gefühle für sie. Gefühle, die Astrid erwidert, obwohl er der Vater einer Freundin ist.

Man sieht diesen Bildern an, dass dort etwas geschieht, was nicht passieren sollte: Astrids schmaler, fast noch kindlicher Körper zusammen mit Blombergs weitaus massiverer Gestalt schafft ein Unbehagen und weist auf die Uneindeutigkeit hin: Ja, Astrid ist verliebt in ihn, sie öffnet das erste Mal ihre Bluse und doch ist sie eine sehr junge Frau, die vielleicht einfach nur für einen älteren Mann schwärmt, der es besser als sie wissen sollte. Allein wie Pernille Fischer Christensen in diesem Strang Raum für leise Zwischentöne lässt, in einem Film, der doch vor allem eine Feier der Stärke und Unkonventionalität der späteren Autorin ist, ist bemerkenswert.

Natürlich bleibt diese Liebesgeschichte nicht ohne Folgen: Astrid wird schwanger, aber Blomberg steckt mitten in einer Scheidung. Sollte die Schwangerschaft publik werden, wäre der Skandal perfekt. Also verbirgt Astrid erst ihren Zustand, doch dann verlässt sie ihre Heimat, um in Stockholm eine Sekretärinnenausbildung zu machen und erfährt dort von der Möglichkeit, in Kopenhagen das Kind zur Welt zu bringen, ohne einen Vater anzugeben.

Schon in den Szenen, in denen Astrid erkennt, dass sie schwanger ist und es ihren Eltern sagen muss, zeigt sich, wie gekonnt Becoming Astrid die vielen melodramatischen Klippen umschifft, die diese Episode aus dem Leben der Schriftstellerin geboten hätten: Natürlich sind ihre Eltern wütend, zugleich machen sie sich aber große Sorgen. Zum einen um Astrid, deren Leben durch die Schwangerschaft ruiniert werden könnte, zum anderen aber auch um die Familie, da sie auf Pachtland leben und arbeiten, das der Kirche gehört. Jedoch zeigen sie sich bereit, eine Lösung zu finden – und das Entsetzen von Astrids Vater angesichts des Verhaltens von Blomberg zeigt sich in einer erstarrten Mimik. Aber Astrids Eltern versuchen stets, ihre Tochter zu unterstützen, wenngleich ihr Rat nicht immer auf Astrids Ansinnen trifft oder gut erscheint. Denn Astrid kann den Gedanken nicht ertragen, ihren Sohn dauerhaft wegzugeben.

Indem sich der Film großen dramatischen Szenen verweigert, vermeidet er nicht nur Kitsch, sondern entwickelt auch eine große Emotionalität. Mut ist hier nicht einfach eine Eigenschaft, die man hat oder nicht hat, sondern die sich entwickelt und die sehr schwerfallen kann. Denn Astrid weiß, welche Verantwortung fortan auf ihr lastet und fühlt sich bisweilen überfordert. Sie muss erst nach und nach herausfinden, was der richtige Weg ist – für sie und für ihren Sohn.

Pernille Fischer-Christensen gelingt hier fast immer die Balance zwischen einem gehobenen Unterhaltungsfilm und leisen Zwischentönen, nur manchmal erscheinen gerade die Aufnahmen aus Astrids Leben in Småland oder im Beisammensein mit ihrem Sohn in der Natur ein wenig zu idyllisch. Dabei trägt Hauptdarstellerin Alba August diesen Film nahezu mühelos. Der Zeitraum der Handlung umspannt rund drei Jahre, in denen Astrid sehr viel durchgemacht hat, sich verändert und reifer wird. Diese Veränderung, der Verlust der Kindlichkeit und glücklicherweise nur eines Teils der Unbeschwertheit zeichnet sich in Körpersprache und Mimik von Alba August sehr gut ab.

Damit gelingt es diesem Film, tatsächlich von dem Werden von Astrid Lindgren zu erzählen: Diese Jahre prägten sie in ihrer Unabhängigkeit, in ihrem Mut, aber auch in dem Wissen, dass zum Leben schwere Entscheidungen gehören. Die Fragen der Kinder auf der Kassette eröffnen direkte Verbindungen zu dem literarischen Werk von Astrid Lindgren – und betonen zudem die Botschaft, die damit zusammenhängt.

Becoming Astrid hätte sehr leicht zu einem sehr kitischen Arthouse-Streifen werden können. Aber dank der guten Inszenierung und Besetzung schafft Pernille Fischer Christensen etwas Wundervolles: Einen berührenden Film über die Jugendjahre einer der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Welt.

Astrid (2018)

In dem Biopic geht es vor allem um die jungen Jahre der weltberühmten Autorin Astrid Lindgren, als sie sich als unverheiratete Frau und alleinerziehende Mutter durch das Leben schlagen musste.

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Meinungen

Lisa w. · 05.01.2019

Ich habe den film heute im kino gesehen. Kann ihn leider nicht weiter empfehlen vor allem für kinder ist dieser film nichts da er meiner Meinung nach nicht jugendfrei ist. Ich kann mich nur anschließen dieser Film wird der Schriftstellerin nicht gerecht und es ist traurig das auf Astrids Tochter nicht gehört wurde die selbst sagt dass ihre Mutter ein klares nein zu diesem film ausgesprochen hätte. Traurig das mit so etwas Geld gemacht wird.

René · 16.01.2019

Ich finde den Film super. Er zeigt, dass sie eine aussergewöhnliche Frau gewesen ist. Sie verdient allergrösste Achtung für ihren Mut und die Kraft, mit der sie ihr uneheliches Kind aufgezogen hat. Ihre Vorstellungskraft ist unerschöpflich.
Der Film ist sehr gut gedreht worden. Dies auch an originalen Orten, wo sie gelebt hat. Ein Zeitzeugnis!
Ihre Eigenarten und Charakterzüge, die sie auch Personen in ihren Geschichten gegeben hat, kommen klar heraus: sie sind autobiographisch.
Der Film ist nicht für Kinder gedacht da er die düsteren sozialen Hintergründe der damaligen Zeit wiedergibt. Eine zugeknöpfte Männergesellschaft mit vielen unfähigen männlichen Protagonisten. Er zeigt aber auch, was eine Mutterliebe zu bewirken vermag.
Er beantwortet Fragen aufgeweckter und kritischer Kinder. Die Rahmengeschichte ist wohltuend authentisch.
Der Film ist sicher nicht kitschig.
Schauspielerisch sehr gute Leistungen. Die Mutter und Marie. Auch der Vater.
Dekor und Vertonung sehr gut.
Ja, ein super Film.

Luise Artmann · 13.12.2018

Ich habe bis jetzt nur den Trailer gesehen, aber ich finde es unglublich kitschig geworden, verdreht ihre Biographie und macht aus dem kampf um Selbstbestimmung und unabhänigkeit als Frau, eine kitschige Liebesgeschichte wo es mehr um die Männer in ihrem Leben geht als um das was sie selbst erreicht hatt und wirlkich wollte. Sie wollten den Mann der Sie mit 18 Jahren schwägerte nie heraten und sie gebähr ihr Kind heimlich in Kopenhagen um den Mann nicht heiraten zu müssen, Sie bekam unterstüzung von Frauen, die für Frauen rechte kämpfte. Sie schnitt sich die Haare für sich ab und nicht um als repelische Sekretärin von ihrem Boss flachgelegt zu werden.

Für alle Frauen die selber alleinerziehend sind, für ihre unabhägigkeit zu kämpfen haben und keine Anerkennung für ihre leistung bekommen ist der Trailer allein schon eine farce.

Ich möchte einen Film der Astrid Lindren als stark und eigenwillig zeigt, alle verrückten punkte ihre Karriere zeigt.wie die Zeit als sie für die Abteilung für Briefzensur des schwedischen Nachrichtendiensts arbeitete oder ihre Kriegstagebücher, zum zweiten Weltkrieg. Ihr Betrag zur gewaltfreien Kindererzihung....

Ich möchte noch anmerken, das ich eine starke Rechtschreibschwäche haben.

Christl · 22.12.2018

Liebe Luise,
schau doch den Film und mach dir dann ein Bild. Ich habe nicht viel von Ihrer Biografie gewußt, weiss also nicht ob das so sehr korrekt ist, aber was klar hervor geht, ist ihre Stärke und Fähigkeit, für sich Entscheidungen zu treffen, frei von Normen. Dies kommt in dem Film klar raus und keine Unterwerfung vor Männern sondern die SOrge um das Wohl des Kindes ist der Focus. Und dies darf auch ein Mann mittragen, wenn er denn will. Vielleicht kannst du ja noch ganz neugierig den Film für dich entdecken und auf dich wirken lassen. Trailer verzerren sehr oft!
Liebe Grüße!

Elsa Brabender · 22.12.2018

Ich habe den Film in voller Länge gesehen, zuvor die Biographie über sie gelesen und ich kann der Kritik nur zustimmen. Der Film will auf die Tränendrüsen drücken und zeigt nur einen kleinen, wenn auch wichtigen Abschnitt aus Lindgrens Leben, der Film wird ihrer Lebensleistung nicht gerecht.

Dori · 24.12.2018

Ich habe den Film gesehen und ich muss sagen, dass Luise leider recht hat.
Diese schwere Zeit hat Astrid sicherlich MIT zu dem gemacht, was sie geworden ist. Aber, so rührend ich das als Alleinerziehende auch fand, ich hätte mir auch eine viel umfassendere Darstellung ihres gesamten Lebens, ihrer Kindheit und ihres Weges zur Schriftstellerei gewünscht. Dies in aller Kürze. Nur soviel noch: Super enttäuscht waren auch die vielen Kinder im Kino, die sich wohl auch erhofft hatten zu erfahren, wie ihr Idol zu dem geworden war, was sie war, anstatt sie als Minderjährige beim Sex zu sehen! Wirklich schade. Der Film wird Astrid Lindgren und ihrem Wirken leider in keinster Weise gerecht.

Michael · 07.01.2019

Das ist ein treffender Kommentar. Regie, Kamera, Schauspieler waren zwar top, aber man hätte wesentlich mehr aus dem großen Leben Lindgrens herausholen können als größtenteils das Drama um ihre erste Beziehung und den unehelichen Sohn (wie kommt das denn, als 17jährige ihren Chef noch dazu gleich im Büro zu verführen?! - ein sehr heikler Punkt, über den sich Lindgrens Tochter wohl nicht zu unrecht mokiert…). Lindgrens großes literarisches Schaffen wird ausgespart. Ich bin absolut nicht prüde, aber FSK ab 6 finde ich arg (ich weiß mittlerweile, dass viele Familien mit ihren Kindern den Film sehen wollen, ohne zu wissen, dass dieser Sexszenen und eine - wenn auch gut gemachte - Geburtsszene zeigt - doch allein Filmtitel und Plakat suggerieren einen kinderfreundlichen Film).