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Wenn Aliens der Menschheit wichtige Konzepte wie „Familie“ rauben – was passiert dann wohl? Diese spannende Frage kann man sich in Yocho stellen.

Yocho (2017)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Eine emotionale Invasion

Dank Werken wie dem Serienkiller-Thriller „Cure“ (1997) oder dem Horrorfilm „Pulse“ (2001) gilt der Japaner Kiyoshi Kurosawa als ein Meister des Spannungskinos. Mit „Yocho“ demonstriert er, dass er diesen Ruf durchaus nicht zu Unrecht genießt; gleichwohl schöpft Kurosawas Mix aus Science Fiction und Drama sein Potential bedauerlicherweise nicht aus.

Der Einstieg in das Geschehen ist wunderbar unbehaglich: Als Etsuko (Kaho) die Wohnung betritt, in welcher sie gemeinsam mit ihrem Partner Tatsuo (Shôta Sometani) lebt, merkt sie rasch, dass etwas nicht stimmt – denn Tatsuo verhält sich seltsam apathisch. Auch an ihrem Arbeitsplatz fällt der jungen Frau der absonderlich anmutende Himmel auf, in den sie mit dunkler Ahnung blickt. Als ihre verängstigt wirkende Kollegin Miyuki (Yukino Kishii) sie bittet, mit zu ihr nach Hause gehen zu dürfen, willigt Etsuko ein. Zunächst scheint es, als meide Miyuki ihr eigenes Zuhause, da sie sich dort vor einem Geist fürchtet. Doch wie sich herausstellt, ist es der eigene verwitwete Vater (Tetsuya Chiba), der sie derart in Panik versetzt. Offenbar – so lautet die ärztliche Diagnose – hat Miyuki das Konzept „Familie“ vergessen und weiß nun nicht mehr, was ein Vater oder eine Mutter ist. Auch anderen Menschen im Umfeld von Etsuko und Tatsuo ergeht es wie Miyuki – sie vergessen Konzepte wie „Stolz“, „Vergangenheit“ und „Zukunft“. Der Grund für diese bizarre Form der Amnesie könnte eine Alien-Invasion sein; eine Schlüsselrolle kommt dem jungen Dr. Makabe (Masahiro Higashide) zu, welcher zwei Wochen zuvor als neuer Arzt an das Krankenhaus kam, in welchem Tatsuo tätig ist. Etsuko muss erfahren, dass Tatsuo ein fatales Bündnis mit Dr. Makabe eingegangen ist.

Die Grundidee von Yocho ist hochinteressant: Was passiert, wenn wir Konzepte, die das Fundament unserer Gesellschaft bilden, verlieren? Wenn wir nicht mehr wissen, was „Liebe“ oder „Hass“ bedeuten? Leider sucht das Werk auf diese Fragen keine Antworten. Während der Subplot um Miyuki anfangs noch eine gewisse Vertiefung erfährt und auf äußerst wirkungsvolle Weise mit den Mitteln des Geister-Gruselfilms von Entfremdung, vom Unbekannten im (vermeintlich) Vertrauten erzählt, widmen sich Drehbuch und Regie den übrigen Opfern kaum. Uns wird nicht gezeigt, was es heißt, plötzlich ohne die Kenntnis von essenziellen Konzepten des menschlichen Miteinanders (und damit weniger menschlich) zu sein. Stattdessen wandelt sich Kurosawas neue Arbeit in ein Dreiecks-Drama in einem Endzeit-Setting mit üblichen Action-Momenten des Überlebenskampfes. Die Lücken mögen damit zusammenhängen, dass der Film aus Kurosawas TV-Mini-Serie gleichen Titels hervorgegangen ist und es mit Before We Vanish (2017) noch einen anderen Film von Kurosawa gibt, der sich mit der geschilderten extraterrestrischen Invasion befasst. Als eigenständiges Werk wirkt Yocho allerdings unausgegoren.

Was ein vielschichtiges Mindgame Movie hätte sein können, ist deshalb lediglich ein solides Genre-Konglomerat, in welchem es Kurosawa jedoch immer wieder gelingt, durch geschickten Licht- und Toneinsatz Spannung aufzubauen. Ferner überzeugt insbesondere die aus Unsere kleine Schwester bekannte, intensiv spielende Kaho in der weiblichen Hauptrolle.

Yocho (2017)

Etwas stimmt nicht und Etsuko ist eine der ersten, die es bemerkt. Nicht nur der Himmel scheint anders, Etsuko hört plötzlich merkwürdige Geräusche, und um sie herum passieren immer mehr unerklärliche Dinge: Spiegelflächen verformen sich, Menschen ändern ihr Verhalten. Sie lassen Dinge fallen und scheinen Schmerzen in den Armen zu bekommen. Als die junge Miyuki in ihrem Vater einen Geist zu sehen glaubt und die Nachrichtensender globalen Dauerregen prophezeien, verdichten sich die Hinweise, dass das Ende der Welt naht. 

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