Wovon träumt das Internet?

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Fader Nachgeschmack der Suggestion und Manipulation

Wenn man noch niemals einen Dokumentarfilm über das Internet gesehen hat, dann vermag man in Werner Herzogs Wovon träumt das Internet? neue Gedanken zu entdecken. In zehn Kapiteln reist er von den Ursprüngen des Internets in die Zukunft und streift dabei die Themenkomplexe, die in den vergangenen Jahren oftmals thematisiert wurden: Suchtgefahren, Sicherheitsbedenken und Weiterentwicklungen.
Dabei ist der Film weniger als die im Untertitel avisierten Träumereien als vielmehr eine Reise angelegt: Ausgangspunkt ist der Campus der University of California, auf dem 1969 erstmals die Verbindung mit einem Computer in Stanford gelang. Herzog besucht noch einmal den Raum, in dem der Rechner damals stand, und spricht mit einem beteiligten Wissenschaftler, der erzählt, dass das erste Wort, das übermittelt wurde, „Lo“ war – es sollte „Log“ werden, aber vor dem letzten Buchstaben stürzte der Rechner in Stanford ab. Untermalt wird diese erste Episode mit pathetischen Fanfarenklängen, damit auch zu jeder Zeit deutlich wird, dass dort gerade an einen großen Moment der Geschichte gedacht wird.

In diesen Anfangszeiten war das Internet noch übersichtlich, es gab ein gedrucktes Verzeichnis, das alle Teilnehmer mit E-Mail-Adresse auflistete. Auch andere Errungenschaften sind auf das Internet zurückzuführen, das wird in dem zweiten Teil „The Glory of the Internet“ sehr deutlich: Herzog spricht über Moleküle, die mithilfe der Gamer Community entschlüsselt wurden, und über selbstfahrende Autos. Schon in diesem Teil zeigen sich sehr deutlich zwei grundlegende Prinzipien des Films: Werner Herzog, der den Film aus dem Off erzählt, stellt Fragen, die entweder nicht beantwortet werden oder den Interviewpartnern die richtigen Schlüsselwörter suggerieren. So wirft er beispielsweise in dem Abschnitt über selbstfahrende Autos die vielfach diskutierte Frage auf, wer im Fall eines Unfalls die juristische Verantwortung tragen würde: der Autohersteller, der Fahrer, der gerade sein Frühstück verspeist hat, oder der Wissenschaftler, der das System entwickelt hat – um dann einen Wissenschaftler zu Wort kommen zu lassen, der erklärt, dass durch den Fehler eines Autos alle Systeme dazulernen würden, und damit die Frage nicht beantwortet. Im Anschluss interviewt Herzog einen Wissenschaftler, der Fußball-Roboter entwickelt und stolz sagt, dass er hoffe, im Jahr 2050 würde eine Robotermannschaft gegen den dann amtierenden FIFA-Weltmeister antreten und gewinnen. Herzog fragt ihn dann, ob er den „Star-Roboter“ der aktuellen Mannschaft, der außergewöhnliche Fähigkeiten hat, „liebe“. Erst daraufhin spricht auch der Wissenschaftler von „Liebe“ – und das Publikum wird eingeladen, über diese Zuneigung zu schmunzeln. Diese Vorgehensweise hinterlässt in diesem Dokumentarfilm den faden Nachgeschmack der Suggestion und Manipulation.

Diese Gedanken drängen sich auch zu Beginn des dritten Kapitels auf, das von „The Dark Side“ des Internets berichtet. Ein schwarz gekleidetes Elternpaar und seine drei Töchter sind um einen Tisch gruppiert, auf dem Muffins und Kuchenteilchen stehen, die Eltern stehen, die Töchter sitzen am Tisch, ein Stuhl ist leer. Die Eltern erzählen, dass ihre Tochter sich mit dem Porsche des Vaters das Leben genommen hat. Jemand hat am Ort des Geschehens Fotos von der Tochter gemacht, auf denen zu sehen ist, dass sie nahezu enthauptet wurde. Diese Bilder wurden nicht nur ins Internet gestellt, sondern dem Vater per E-Mail und teilweise mit entsprechenden Hasskommentaren geschickt. Das ist zweifellos furchtbar – aber durch die Inszenierung der Familie um den Tisch und die Aussage der Mutter, für sie sei das Internet die ‚Manifestation des Antichristen“ wird dieses Kapitel gespenstisch bis absurd.

Es sind einfache Bilder und Botschaften, die Werner Herzog hier verbreitet und die allenfalls als Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Status quo in vielen Diskussionen rund um das Internet gesehen werden können. Nach den dunklen Seiten widmet er sich einem ‚Leben ohne Internet‘ und besucht einen Landstrich, in dem keine Funkverbindungen möglich sind, weil dort Signale aus dem All abfangen werden. Hier leben Menschen, die durch elektromagnetische Strahlungen krank geworden sind, und das Bemühen dieser Menschen, mit ihren Symptomen ernst genommen zu werden, wird nahezu unterlaufen, wenn Herzog ihren Alltag in dieser Gemeinde als idyllisches Beieinandersitzen am Lagerfeuer mit selbstgemachter Country-Musik inszeniert. Diese Manipulationen des Zuschauers werden noch ärgerlicher, wenn Herzog naheliegende kritische Fragen nicht stellt. So lässt er zwar zwei Jugendliche in einem „Restart“-Camp gegen Internetsucht von ihrer Sucht nach einem Computerspiel erzählen, hinterfragt aber noch nicht einmal, ob es wirklich eine „Internetsucht“ oder nicht vielmehr eine Spielsucht sei, die sich im Internet manifestiert. Hier wird, wie so oft, das Medium zum eigentlichen – und einfacheren – Übel erklärt.

Es folgen Szenarien zu dem Ende des Internets bzw. der Welt, die durch Eruptionen auf der Sonne herbeigeführt werden können, Gespräche mit einem Hacker und Security-Experten über Sicherheitslücken im Netz und Möglichkeiten des Lebens auf dem Mars. Dabei reiht Herzog Talking Heads aneinander, unterbrochen von Bildern der Sonne, des Mars oder Schlagzeilen, und letztlich ist nichts zu erfahren, was nicht auch schon in anderen Dokumentar- oder fiktionalen Filmen thematisiert wurde. Sogar bei dem Kapitel über „Artificial Intelligence“ konzentriert sich Herzog insbesondere in den Bildern auf manuelle Fertigkeiten von Robotern, ohne weitaus komplexere Themen wie selbstlernende Algorithmen oder Roboter, die mittlerweile Go spielen, anzusprechen. Stattdessen stellt Herzog die Frage, ob sich Roboter einst verlieben werden können. Die Antwort exploriert jedoch nicht Emotionen, sondern ist eine Gegenfrage: Wäre es sinnvoll oder erstrebenswert, dass sich Roboter verlieben? Auch hier ist Neues wohl nur für diejenigen zu finden, die bisher nicht sehen oder verstehen wollten, dass das Internet die Welt verändert hat und weiterhin verändern wird. Deshalb bleibt die einzig interessante Frage dem abschließenden Kapitel vorbehalten: Hier fragt Herzog in bester Tradition von Philip K. Dick Wissenschaftler, ob das Internet träumen kann. Ihre Gesichter und Antwortversuche sind amüsant – und liefern interessantere Ansatzpunkte, als in den vorangegangenen 96 Minuten zu finden waren.

Wovon träumt das Internet?

Wenn man noch niemals einen Dokumentarfilm über das Internet gesehen hat, dann vermag man in Werner Herzogs „Wovon träumt das Internet?“ neue Gedanken zu entdecken. In zehn Kapiteln reist er von den Ursprüngen des Internets in die Zukunft und streift dabei die Themenkomplexe, die in den vergangenen Jahren oftmals thematisiert wurden: Suchtgefahren, Sicherheitsbedenken und Weiterentwicklungen.
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