Workers

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Der subversive Blick überwindet Schranken

Eine Frau steht mit einem kleinen Kind am Strand. Sie reicht jemandem durch die Stäbe eines Zauns, der bis ins Wasser reicht, einen Becher Kaffee und etwas zu essen. Erst am Ende des Films zeigt die Kamera, wer auf der anderen Seite des Zauns steht. Dann weiß man auch, dass es sich um die mexikanisch-amerikanische Grenze handelt. Und um die Erinnerung eines alten Mannes an die Familie, die er verloren hat.
Ganz beiläufig und oft nur lückenhaft offenbaren sich in dem wortkargen Spielfilmdebüt Workers des Mexikaners José Luis Valle die Zusammenhänge. Die Handlung beginnt 1999, als Rafael (Jesús Padilla) im mexikanischen Tijuana in Rente gehen will. Er ist als Gebäudereiniger in der Glühbirnenfabrik eines internationalen Konzerns angestellt und hat in drei Jahrzehnten keinen einzigen Tag gefehlt. Dennoch wird Rafael die Rente verweigert: Er stammt — wie der Regisseur — aus El Salvador und er hält sich nach wie vor illegal in Mexiko auf. Eigentlich wollte Rafael ja in Amerika leben, deswegen zog er auch in den Vietnamkrieg. Aber danach wollten die US-Behörden ihren Teil der Vereinbarung nicht erfüllen. Sein kleiner Sohn starb im Alter von drei Jahren und nachher konnten Rafael und Lidia (Susana Salazar) nicht mehr zusammenleben.

In einer prunkvollen Villa in Tijuana arbeitet Lidia als Dienstmädchen. Als sie auf den Pool blickt, läuft plötzlich ein Kind durch das Bild – und verschwindet wie ein Phantom. Sie hatte den Jungen damals zum Spielen hinausgeschickt, weil die Patrona (Vera Talaia) sie auf Trab hielt. Nun muss Lidia dem über alles geliebten Windhund der Patrona, der Princessa heißt, pünktlich auf die Minute sein Fleisch servieren und ihn auf seiner Spazierfahrt im Mercedes begleiten. Als die Patrona stirbt, soll es für Princessa weitergehen wie bisher: Nur wenn der Hund eines natürlichen Todes stirbt, so das Testament, soll das Vermögen unter den Bediensteten aufgeteilt werden.

Rafael und Lidia haben ihr Leben mit fremdbestimmter und zum Teil sinnloser Arbeit verbracht. Auf den ersten Blick wirkt das Klischee über den verwöhnten Hund der Millionärin, dem es besser geht als seinen menschlichen Betreuern, abgedroschen. Aber es hat seine Funktion, indem es als absurde Spitze hierarchische Arbeitsverhältnisse demonstriert, die es in weniger auffälliger Form überall gibt. Wen die Macht des Geldes nach oben katapultiert, der hat allein das Sagen, und sei es noch so abwegig.

Aber Rafael und Lidia sind nicht gebrochen. Im Lauf des Films mehren sich die kleinen Anzeichen für ihre Aufmerksamkeit, Tatkraft und innere Unabhängigkeit. Die lakonische Schilderung der täglichen Monotonie ihrer beiden Leben mündet in subversiven Witz und dieser führt zu überraschenden Wendungen. Die Andeutungen und Hinweise in dieser Suspense-Konstruktion lassen die vordergründig so ruhige und stille Geschichte in 120 Minuten nicht langweilig werden.

Einmal verharrt die Kamera minutenlang auf einem Straßenabschnitt: Vor drei schäbigen Geschäften stehen Prostituierte und Jugendliche herum, es geschieht kaum etwas. Man wartet und wartet — mit ihnen, während sich Rafaels Rückkehr aus einem der Häuser hinauszögert. Hier ist Tijuana so hässlich, wie die Patrona immer sagte. Inmitten der Trostlosigkeit aber gibt es für Rafael und Lidia auch herzliche Begegnungen, deren Selbstverständlichkeit verblüfft.

Man spürt beim Zuschauen förmlich, wie sich der ungestörte Blick öffnet. Die langen Einstellungen sind ein Genuss, die Langsamkeit der Kamera lässt ihre Präsenz beinahe vergessen. Wie sie am Anfang an jenem Strand zunächst die Möwen filmt, dann sehr gemächlich weiter bis zum Zaun gleitet, sich schließlich senkt, um ein weiteres Motiv zu offenbaren, wirkt wie ein Lehrstück über die Macht der Bilder. Mit jeder kleinen Erweiterung des Ausschnitts verändert sich die Interpretation des Gesehenen, wird in Frage gestellt, ob der Betrachter das Wesentliche erfasst.

Workers

Eine Frau steht mit einem kleinen Kind am Strand. Sie reicht jemandem durch die Stäbe eines Zauns, der bis ins Wasser reicht, einen Becher Kaffee und etwas zu essen. Erst am Ende des Films zeigt die Kamera, wer auf der anderen Seite des Zauns steht. Dann weiß man auch, dass es sich um die mexikanisch-amerikanische Grenze handelt.
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