Woody Allen: A Documentary

Eine Filmkritik von Tomasz Kurianowicz

Eine lebende Legende im Porträt: Woody Allen

Über Woody Allen kann man denken, was man will: keiner wird jedoch bestreiten, dass er zu den ganz Großen des amerikanischen Kinos gehört. Ein Geschichtenerzähler, der sich immer wieder neu erfindet, ständig die Drehorte und Erzählstränge wechselt und dabei doch immer wieder um die gleichen Themen kreist: Einsamkeit, Liebe, Existenzängste, Tod. Ein Martin Heidegger im Komödienfach.
Zugleich ist der 1935 in Brooklyn geborene, mit seiner jüdischen Abstammung kokett witzelnde Regisseur heute zu einem Mythos erstarrt, kulthaft verehrt – ein Umstand, der es schwierig macht, hinter die Fassade des selbsternannten Stadtneurotikers zu blicken.

Könnte sich das jetzt ändern? Könnte das Porträt Woody Allen: A Documentary, für die der Filmemacher Robert B. Weide sein Untersuchungsobjekt Woody Allen zwei Jahre lang begleitet hat, einen neuen, ungeahnten, vielleicht sogar kritischen Blick auf den Salonphilosophen werfen? Zuvor konnte man noch vernehmen, dass der Zugang behutsam, ja wenn nicht sogar anbiedernd ausfallen würde, schon allein weil Woody Allen den Film persönlich autorisiert hat. Natürlich, diese Vereinbarung muss man im Hinterkopf behalten. Und doch ist das Porträt ein interessantes, erhellendes Zeitdokument, das eine Art Rückschau auf 40 Jahre einmaliger Filmgeschichte leistet.

Der Zuschauer darf erfahren, wie ein Filmemacher wie Allen seine Arbeit organisiert. Erst einmal, und dafür ist Woody Allen wirklich zu beneiden, kennt er das Phänomen der Schreibblockade nicht. Diese Unverkrampftheit im Schreiben erlaubt ihm das rasante Produzieren von neuen Filmen. Jedes Jahr kommt ein neuer auf den Markt. In den Einzelgesprächen mit Woody Allen und seinen Darstellern (Diane Keaton kommt ebenso zu Wort wie Scarlett Johansson und Mariel Hemingway), die gespickt sind mit kleinen Fragmenten seiner berühmten und weniger berühmten Filme, erfährt man, was hinter dieser unvergleichlichen Produktionswut steckt: Allen habe einen pragmatischen Zugang zum Filmemachen, verrät seine Schwester. Ihm fehle die Geduld, er sei viel zu nervös und energetisch. Jede Einstellung muss schnell im Kasten sein, dafür dürfen die Darsteller – sozusagen im Austausch – improvisieren. Das ist der Deal. Woody Allen gibt unumwunden preis, dass ohnehin das Casting über die Qualität eines Filmes entscheidet. Stimmt die Auswahl der Schauspieler, stimmt auch der Film. Meistens jedenfalls.

In diesem „Meistens“ klingt ein grundlegendes Zaudern durch. Und genau dieses Zaudern stellt die Dokumentation offen zur Schau: Allen zweifelt, nach jedem Film, und er zweifelt wie die Protagonisten seiner Geschichten. Und weil er ein Perfektionist ist und kein Film jene Stufe zu erreichen vermag, die der Filmemacher vorher im Kopf erklommen hat, beginnt Woody Allen genau an jenem Tag ein neues Drehbuch zu verfassen, an dem der letzte Film im Kasten ist. Das ist auch als Therapie zu verstehen: Kritiken liest Woody Allen nicht – er verarbeitet die Fehler der vergangenen Filme in der Auseinandersetzung mit dem nächsten. Das ist klug und erklärt die Rastlosigkeit seiner Existenz.

Seine ganze Kariere gleicht im Grunde einem amerikanischen Film. Sie beginnt im Steilflug. Woody Allen schreibt Gags und Kolumnen für diverse Zeitungen, wird dann für Fernsehshows engagiert, wo er einige skurrile und bis heute unvergessliche Auftritte absolviert – unter anderem den Boxkampf mit einem waschechten Kangaroo. Weil er aber erfolgreich und ungemein talentiert ist, vor allem was das Verfassen von pointierten Dialogen betrifft, beauftragt ihn ein großes Studio in Hollywood, das Drehbuch für die Komödie What’s New Pussycat (1965) zu schreiben. In diesem Film feiert Allen sein erstes Engagement als Schauspieler. Der von den Studios streng überwachte Film stellt sich aber als Klamauk heraus, als Posse, die den künstlerischen Vorstellungen von Woody Allen nicht gerecht werden kann. Diese furchtbare Erfahrung mündet in die Entscheidung, von nun an alle Schritte im Produktionsprozess selbst zu verantworten. Vom Drehbuchschreiben bis zur Regie.

In der Dokumentation kann man sehr schön nachvollziehen, wie wechselreich und doch konsequent die Karriere des Filmemachers sich entwickelt. Bananas (1971) war noch ganz im Geiste des Pointenrührers gedreht, eine herrliche Komödie über den politischen Wahnsinn Amerikas, die Woody Allen als genialer Gagschreiber breitenwirksam präsentierte. Der Durchbruch war geschafft. Doch spätestens nach Annie Hall (1977), dieser romantisch-melancholischen Großstadtstudie, durfte das Publikum einen neuen, man könnte sagen: noch brillanteren und hinreißend tiefsinnigen Woody Allen kennenlernen – den metropoliten New Yorker und kosmopoliten Proust-Leser, der nun beweisen konnte, dass er mehr zu leisten vermag als nur Witze zu erzählen: nämlich tiefe, existenzielle Probleme herausarbeiten auf eine natürliche, leichtfüßige Weise.

Manhattan (1979) war dann der Supergau, der Stoff, aus dem Woody Allens Mythos bis heute gewebt ist, ein Ausdruck der vertrackten Beziehung zwischen New York und dem tiefmelancholischen Filmemacher. „New York was his town. And it always would be“, heißt es am Anfang des Films. Es ist geradezu himmelschreiend paradox, dass ausgerechnet dieser Film von Allen diskreditiert wird. „Ich mochte den Film überhaupt nicht“, sagt er in der Dokumentation. Er bot dem Studio sogar an, den nächsten Film kostenlos zu produzieren. Eine maßlose Untertreibung. Manhattan wurde ein riesiger Erfolg.

Insofern klingt es fast kalkuliert, wenn Woody Allen ausgerechnet Stardust Memories (1982), eine Abrechnung mit der neu errungenen Popularität in den 1970er Jahren, als seinen Lieblingsfilm benennt. Da mag auch ein wenig Unangepasstheit mitschwingen, die bis heute in seinen Kommentaren durchzuschimmern scheint. Woody Allen will sich nicht festlegen, will nicht den Erwartungen des Publikums gerecht werden, sondern seinen eigenen künstlerischen Lebensplan erfüllen. Immer wieder andere, neue, aufregende Filme machen, mal komisch, mal melancholisch. Deswegen tauchen in seiner Filmografie so unterschiedliche Werke auf wie A Summer Night’s Sex Comedy (1982), eine Rückwendung zur klassischen Komödie, und Match Point (2005), ein Thriller, der gleichzeitig den Erfolg Woody Allens im neuen Jahrtausend lancierte, nachdem man ihn nach schlechteren Filmen in den 1990er Jahren bereits abgeschrieben hatte.

All diese Kapitel eines herausragenden und doch bescheidenen Menschen sind Teil dieses Schnelldurchlaufs. Die Dokumentation ist wahrlich gelungen, ein sensibler, detailreicher Blick auf eine herausragende Persönlichkeit der Kinogeschichte. Wie es Allen wahrscheinlich gewollt hätte, bleiben persönliche Anekdoten und biographische Details im Hintergrund. Nur der Sorgerechtsstreit mit seiner Exfrau Mia Farrow, in deren adoptierte Tochter Soon-Yi er sich während der Dreharbeiten zu Husbands and Wives (1992) verliebte – ein einschneidendes, von der Klatschpresse aufgegriffenes Erlebnis –, findet ausführlich Erwähnung. Aber das macht nichts: Woody Allen: A Documentary ist trotz fehlender Schlüsselloch-Erlebnisse ein wertvolles Porträt, auch wenn Robert B. Weide am Ende ebenfalls nicht beantworten kann, warum Woody Allen mit seinen Filmen so hart ins Gericht geht. Oder um mit den Worten des Filmemachers zu sprechen: „Ich habe alles erreicht, was ich erreichen wollte. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, irgendwie versagt zu haben.“ Da muss man protestieren: Wer so großartig versagt, hat alles gewonnen.

Woody Allen: A Documentary

Über Woody Allen kann man denken, was man will: keiner wird jedoch bestreiten, dass er zu den ganz Großen des amerikanischen Kinos gehört. Ein Geschichtenerzähler, der sich immer wieder neu erfindet, ständig die Drehorte und Erzählstränge wechselt und dabei doch immer wieder um die gleichen Themen kreist: Einsamkeit, Liebe, Existenzängste, Tod. Ein Martin Heidegger im Komödienfach.
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