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Eine alleinstehende Frau macht sich im späten 19. Jahrhundert auf in ein Indianerreservat, um den Häuptling Sitting Bull zu portraitieren. Eine Geschichte, wie gemacht für politisches, sich der Bedeutung korrekter Repräsentation bewusstes Kino. Wird dieses Potential auch genutzt?

Die Frau, die vorausgeht (2017)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Leben heißt Schwitzen

„Live more“ — „lebe mehr“ lautet ein Rat, den Catherine Weldon (Jessica Chastain) einmal bekommt. Für eine alleinstehende Frau im Dakota-Territorium des späten 19. Jahrhunderts heißt leben vor allem: schwitzen. Sie ist erst vor ein paar Minuten aus dem Zug gestiegen, da breiten sich schon dunkle Schweißflecken unter den Ärmeln ihres Kleides aus, die schwere Schleppe schleift durch den Sand der Dust Bowl.

Nirgendwo scheint diese zierliche rotblonde Frau aus New York weniger hinzugehören und nirgends will sie lieber sein. Nach dem Tod ihres Ehemannes schmeißt die Malerin das Bildnis des Verstorbenen von einer Brücke in den Fluss und macht sich auf den Weg. Sie will den Lakota-Häuptling Sitting Bull (Michael Greyeyes) portraitieren. Weil sie sich damit nicht nur Freunde macht, wird Catherine Weldon bald nicht mehr nur schwitzen, sondern auch bluten. Bei einem Besuch in der nächstgelegenen Kleinstadt richten zwei unbekannte Männer sie übel zu. Die Bewohner – und die Kamera – schauen zu. Natürlich wirkt das alles relativ zahm, für einen Hollywoodfilm hat Die Frau, die vorausgeht aber einen ziemlich auffälligen Hang zu einer Art von Vitalität, die sich am Ekel entfacht: Körpersäfte, alles, was kreucht und fleucht. Immer wieder bleibt der Blick der Kamera an Echsen, Heuschrecken, Motten hängen. 

Catherine Weldon kommt zu einer ungünstigen Zeit in das Reservat: die Regierung setzt die Natives unter Druck, Papiere zu unterschreiben, die große Teile ihres Landes abtreten. Nichts ist willkommen, was das Selbstbewusstsein der Lakota stärken könnte, also erst recht keine Portraitmalerin, die auf ihr Recht auf Teilnahme am demokratischen Prozess beharrt. Das Standing-Rock-Reservat ist heute wieder regelmäßig in den Schlagzeilen – und wieder, weil sich dort ein heftiges Ungleichgewicht der Macht spiegelt. Gerade in dieser Hinsicht ist es erfreulich, dass Regisseurin Susanna White eine feine Sensibilität dafür an den Tag legt, wer spricht. Überraschend viel Dialog in Die Frau, die vorausgeht ist in der Sprache der Lakota gehalten, oftmals ohne Untertitel. Wie Catherine müssen wir Zuschauer es dann aushalten, auch als Kontrollfreak einmal nicht alles zu verstehen. Als Sitting Bull eine wichtige Rede hält, um seine Leute zum friedlichen Widerstand gegen die unrechte Politik der Weißen aufzurufen, spricht er selbstverständlich Lakota. Die indigene Ehefrau eines Politikers flüstert ihm simultan die englische Übersetzung ins Ohr. 

Wie diese Frau gibt es viele Figuren im Film: die schaudernd von den Brutalitäten der Sioux erzählen, ihrer eigenen Muttersprache abgeschworen haben, aber dennoch verloren wirken in ihrer westlichen Kleidung. Es ist ihnen sehr wohl bewusst, dass sie nirgends so richtig dazu gehören. Das Bewusstsein des Films, dass es in manchen Auseinandersetzungen schlicht keine einfachen Lösungen gibt, dass Menschen selten gänzlich gute oder böse Absichten hegen, ist löblich, aber sich auf diesem Wissen auszuruhen, macht die Weisheit zur Binse. So sind im Drehbuch zahlreiche historische Fakten abgeändert. Zum Teil – man denke an die Ermordung Sitting Bulls – sicher wegen der Jugendfreigabe, zum Teil zugunsten einer geradlinigeren Erzählung.

Mit keinem Wort wird beispielsweise in Die Frau, die vorausgeht erwähnt, dass die echte Catherine Weldon Mutter war. Sie kam gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn Christy ins Dakota-Territorium, lebte dort mit ihm bei Sitting Bulls Familie. Wie haben sich wohl das Leben im Reservat, aber auch die täglichen Anfeindungen auf den Jungen ausgewirkt? Wie hat die Sorge um ihn Catherines Entscheidungen beeinflusst? Hätte es sie vielleicht unsympathischer erscheinen lassen, dass sie ihr Kind zugunsten einer Mischung aus persönlicher Ambition und größerem Anliegen wissentlich Gefahren aussetzt? Dass Susannah White die vielen herausfordernden Fragen, die das historische Material aufwirft und die im Film durchaus in Ansätzen durchscheinen, nicht konsequent für kontroversere Antworten nutzt, ist schade. So bleibt Die Frau, die vorausgeht zwar als engagiertes Schauspielerkino im Kopf, aber nicht unbedingt als mehr.

Die Frau, die vorausgeht (2017)

Caroline Weldon gehörte im späten 19. Jahrhundert zu den wichtigsten Aktivisten der National Indian Defense Association und arbeitete als Sekretärin, Dolmetscherin und Advokatin von Sitting Bull, Häuptling der Lakota-Indiander. „Woman Walks Ahead“ wirft ein Licht auf die Arbeit von Sitting Bulls engster Vertrauten und wie diese sich vor der internationalen Presse immer wieder rechtfertigen musste.

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