Wie ein weißer Vogel im Schneesturm

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Sex, Lügen und gute Musik

Der Filmemacher Gregg Araki ist ohne Zweifel das, was man einen „Auteur“ nennt: All seine Werke sprechen eine spezifische Bildsprache und kreisen um zwei große Themen: die Konfusionen der Jugend und die Auswüchse des amerikanischen Albtraums. Auch Wie ein weißer Vogel im Schneesturm(der seine Premiere auf dem Sundance Film Festival feierte) weist sich mit jeder einzelnen Aufnahme, jedem maliziösen One-liner und jedem sorgsam ausgewählten Musikstück als Araki-Schöpfung aus: Die bitter-skurrile Adoleszenzgeschichte (frei nach dem gleichnamigen Roman von Laura Kasischke) kann inhaltlich mit einer rebellischen Heldin und einer gruselig-fiesen Suburbia-Hölle aufwarten – und weiß auf inszenatorischer Ebene mit ausgeklügelten Arrangements, extravagantem Kostüm- und Set-Design sowie schönstem Shoegazing-Sound in Bann zu ziehen.
Kat (Shailene Woodley) lebt mit ihren Eltern Eve und Brock Connor (Eva Green und Christopher Meloni) in einer US-Kleinstadt der 1980er Jahre. Die grässliche suburbane Langeweile hat Kats exzentrische Mutter in den Alkoholismus getrieben und zu einer unberechenbaren Furie werden lassen – bis sie eines Tages spurlos verschwunden ist. Seitdem wird Kat von schaurigen Fantasien geplagt, in denen ihre Mutter im Schnee liegt. Ist Eve etwas Schreckliches zugestoßen – oder hat sie die Familie verlassen, um der Eintönigkeit des Vororts zu entkommen? Während Brock mit der netten May (Sheryl Lee) ein neues Kapitel in seinem Leben beginnt, initiiert Kat eine Affäre mit dem machohaften Detective Scieziesciez (Thomas Jane), der Eves Verschwinden untersucht. Eigentlich ist die 17-Jährige aber immer noch mit dem naiv-sensiblen Nachbarsjungen Phil (Shiloh Fernandez) zusammen, an dem auch ihre Mutter stets großes Interesse zeigte.

Völlig ungehemmt lebt Araki hier seine Passion für David Lynchs Mystery-Serie Twin Peaks aus, um dabei seinen ganz eigenen Mix aus Crime Story, Fiebertraum und Coming-of-Age-Dramödie zu schaffen. Look und Feel der Eighties werden gekonnt heraufbeschworen – etwa wenn Kat mit ihrer kleinen Outcast-Clique (toll: Gabourey Sidibe und Mark Indelicato) abhängt oder wenn die Protagonistin mit ihrem Lover Phil zu „Behind the Wheel“ von Depeche Mode in einem Gothic-Nightclub tanzt. Der bunte Augenzucker, mit welchem der Zuschauer in den Hochglanzbildern überfüttert wird, steht in reizvollem Kontrast zu den Enttäuschungen des Erwachsenwerdens, von denen der Film (meist mit schneidendem Humor) erzählt. Wie ein weißer Vogel im Schneesturm ist (leider) weniger abgedreht und trashig als Arakis wunderbares Vorgängerwerk Kaboom oder die großartige Teenage Apocalypse Trilogy, die der Writer-Director im Jahre 1997 mit Nowhere zum Abschluss gebracht hat. Dennoch ist das Ganze dank einer gehörigen Portion Unverschämtheit irritierend genug, um als Betrachter konstatieren zu können, dass Araki seinem kontroversen Stil treu geblieben ist. So erlaubt sich der Mitbegründer des New Queer Cinema gegen Ende seiner Adaption auch eine hübsche Abwandlung des Romangeschehens, die sehr, sehr deutlich seine Handschrift trägt.

Schauspielerisch ist dieser Emotions-Horrorfilm ein Fest: Der aufstrebende Teen-Star Shailene Woodley (bekannt aus Die Bestimmung – Divergent) strahlt Renitenz und Selbstbewusstsein aus, und Eva Green ist in ihrer Performance als Monster-Mom herrlich over the top – als sei sie das verzickte Zentrum einer ausgesprochen diabolisch-fehlgeleiteten Sitcom oder eines überambitionierten Hollywood-Melodrams aus längst verdrängten Joan-Crawford-Zeiten. Die beiden Frauen werden von einer überzeugenden Nebendarstellerriege flankiert, sodass Wie ein weißer Vogel im Schneesturm gänzlich zu dem werden kann, was man von einem „echten Araki“ erwartet: einem geistreich getexteten, cool in Szene gesetzten und bemerkenswert gespielten Indie-Triumph. Mehr davon, bitte!

Wie ein weißer Vogel im Schneesturm

Der Filmemacher Gregg Araki ist ohne Zweifel das, was man einen „Auteur“ nennt: All seine Werke sprechen eine spezifische Bildsprache und kreisen um zwei große Themen: die Konfusionen der Jugend und die Auswüchse des amerikanischen Albtraums.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen