Widerstand ist Pflicht

Eine Filmkritik von Falk Straub

Masse in Bewegung

Mit dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten tat sich Nachkriegsdeutschland lange schwer, vor allem dann, wenn dieser von unten kam. Der Dokumentarfilm Widerstand ist Pflicht befasst sich mit einem lange vergessenen Kapitel und der künstlerischen Auseinandersetzung damit.
Die Luft in der riesigen Halle ist eiskalt. Wenn Regisseur Philipp Becker lautstark seine Kommandos gibt, schwebt sein Atem in warmen, weißen Wölkchen vor seinem Gesicht. Mit Mützen auf den Köpfen, Schals um die Hälse und dicken Winterjacken an den Körpern kleben die Darsteller an Beckers Lippen. Auch bei Temperaturen um den Gefrierpunkt verlangt der Regisseur ihnen alles ab, weiß seine Truppe aber auch zu motivieren. Die Proben zum Stück Ein Dorf im Widerstand sind eine Herausforderung. Eine 80 Meter lange Bühne, mehr als 100 Darsteller, ein Orchester und keine Heizung. Wenn einer aus dem Projekt aussteigen würde, könne er das verstehen, sagt Becker. Schließlich arbeitet er nur mit einer Handvoll Profis. Der Rest sind Laien. Diese erhalten außer zwei Freikarten für ihren Auftritt keinerlei Vergütung. Das Thema des Stücks ist Antrieb genug.

Ein Dorf im Widerstand handelt von einem beinahe vergessenen Kapitel der deutschen Geschichte. Nach Hitlers Machtergreifung rief die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) zum Generalstreik auf. Doch nur eine einzige Gemeinde folgte: Mössingen, 15 Kilometer südlich von Tübingen am Rande der Schwäbischen Alb. Am 31. Januar 1933 gingen dort etwa 800 Menschen gegen die Regierung der Nationalsozialisten auf die Straße. Das Ereignis ist seither als „Mössinger Generalstreik“ bekannt, wurde im Ort jedoch jahrzehntelang verschwiegen. Einer der Anführer des Streiks war Paul Ayen. Dessen Tochter Andrea steht 80 Jahre später als Laiendarstellerin mit auf der Bühne. Das Theater Lindenhof im nahegelegenen Melchingen stemmt das Mammutprojekt. Geprobt und gespielt wird jedoch in einer alten Fabrikhalle, die eine entscheidende Rolle während des Streiks spielte. Die Filmemacherin Katharina Thoms war während der sechsmonatigen Proben dabei. Herausgekommen ist der Dokumentarfilm Widerstand ist Pflicht.

Zwei Bewegungen bilden den Kern dieses Films. Zum einen begleitet die Regisseurin Andrea auf ihrem Weg durch die Theaterproben. Diese sind das erzählerische Grundgerüst. Zum anderen ist die Kamera bei einem Spaziergang durch Mössingen dabei. Wenn Andrea mit dem Hauptdarsteller, der im Stück ihren Vater Paul verkörpert, die Stationen des Streiks abschreitet, ist das auch ein Stück Geschichtsstunde.

Dass das Stück etwas mit den Laiendarstellern macht, ist ihnen anzumerken. Andrea spricht stellvertretend für sie, tritt abseits der Proben vor die Kamera, um ihre Gefühle und Gedanken zu beschreiben. Die äußert auch Philipp Becker. Der Theatermacher ist der Einzige unter den Protagonisten, der außer Andrea in klar gekennzeichneten Interviewsituationen zu Wort kommt. Gern hätte man hier auch den Hauptdarsteller gehört, der mit seinem wuchtigen Körperbau schon allein optisch das Zentrum des Theaterstücks bildet.

Wucht und Bewegung sind bei dessen Umsetzung entscheidend. Philipp Becker ist von den Möglichkeiten des Theaterraums fasziniert. Dementsprechend nutzt er jeden Winkel der Halle. Mit aufwendigen Choreografien versetzt Becker seine Laien in Bewegung, lässt sie gegenläufig oder von links nach rechts und umgekehrt agieren. Für die Zuschauer wird der soziale Ungehorsam der Protagonisten auf diese Weise zu einer ganz körperlichen Erfahrung. Beckers Inszenierung zeigt, wozu Masse in der Lage ist, wenn sie gelenkt wird. Nicht zuletzt das nährt die Hoffnung, dass die Bewegung einer positiven Masse die einer negativen aufhalten könnte.

Widerstand ist Pflicht

Mit dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten tat sich Nachkriegsdeutschland lange schwer, vor allem dann, wenn dieser von unten kam. Der Dokumentarfilm „Widerstand ist Pflicht“ befasst sich mit einem lange vergessenen Kapitel und der künstlerischen Auseinandersetzung damit.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen