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Eine tiefschwarze Komödie aus dem Herzen Russlands und des Weltkinos: Ein erstaunliches Debüt.

Why Don't You Just Die! (2018)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Papa will nicht sterben

Der erste Besuch beim Vater der neuen Freundin ist für junge Männer ja — patriarchale Erwartungen schwingen da viele mit — immer mit vielen Erwartungen und Sorgen überfrachtet. Da darf man schon mal nervös sein. Matvej (Aleksandr Kuznetsov) allerdings ist vor allem deshalb nervös, weil er den Mann umbringen will – Olja (Evgeniya Kregzhde) hat ihn schließlich dringend darum gebeten.

Why Don’t You Just Die! von Kirill Sokolov beginnt mit diesem Warten vor der Wohnungstür, irgendwo in einem typischen, etwas runtergekommenen russischen Mietshaus mit knarzendem Aufzug und neugierigen Nachbar_innen. Matvej steht da mit dem Hammer hinterm Rücken, nervös, aber entschlossen. Es ist gerade genug Gangster in ihm, wird es später von ihm heißen, und da ist was dran: Der Junge wirkt eigentlich eher still und schmächtig, weiß aber trotzdem, wie man eine Handschelle mit einer Haarnadel öffnet.

Leider ist Oljas Vater Andrej (Vitaliy Khaev) nicht allein zuhause, ihre Mutter Tasha (Elena Shevchenko) ist noch nicht aufs Land gefahren, damit hat der junge Mann nicht gerechnet, also gibt es erst einmal ein verbales Abtasten am Esstisch – denn der erfahrene, grobschlächtig wirkende Polizist Andrej riecht natürlich, dass hier irgendwas nicht stimmt mit diesem seltsamen Besucher.

Für seine verbalen Konfrontationen, auch spätere Momente des Stillstands im Chaos der frei flottierenden Gewalt, die dann folgen wird, hat sich Sokolov sichtbar viel bei Quentin Tarantino abgeschaut, ohne ihn zu sehr nachahmen zu wollen; wie dieser scheint er sich zudem Konventionen des Western, Sam Peckinpah und Konsorten, intravenös zugeführt zu haben. Er spielt das hier dann immer wieder aus, meist vor allem in der Musik, schließlich sogar sehr explizit in einem als klassisches Duell auf der Dorfstraße inszenierten Moment.

Dabei ist Why Don’t You Just Die! allerdings weder ganz ernst gemeint noch eine metafilmische Spielerei; Sokolov weiß sehr genau, was er tut, und erzählt damit eine dichte, wilde und sehr blutige Geschichte als tiefschwarze Komödie aus einer übersteigerten russischen Gegenwart. Wie der deutsche Verleihtitel andeutet, geht Matvejs erster Versuch, Andrej zu ermorden, ziemlich schief. Da liegt die Wohnung dann schon halb in Trümmern, die für den Rest des Films zentraler Handlungsort bleiben wird: Ein Kammerspiel mit Rückblenden, die – nur da wird es narrativ gelegentlich ein wenig langatmig – nach und nach beleuchten, was hier eigentlich wirklich los ist. Als Figuren treten noch auf: Olja, Andrejs alter Freund und Kollege Evgenich (Michael Gor) und zwei junge, ahnungslose Polizisten.

Im Grunde hat man es hier – außer in den Rückblenden – mit einem Theaterspiel zu tun, aber der junge Regisseur versteht es, das in seinem Langfilmdebüt elegant zu überspielen. Da greift er sich winzige Hyperdetails heraus oder verlangsamt einzige Sequenzen in Zeitlupe; eingeblendete Röntgenbilder zeigen an, welche Veränderungen gerade im Körper Matvejs stattfinden (Spoiler: unangenehme), und die Kamera flitzt mal hier-, mal dorthin. Sokolov hat sich Dredd ebenso genau angesehen wie Guy Ritchies dreckige Gangsterkomödien und natürlich das Splatterkino der vergangenen Jahrzehnte. Blut ist übrigens eine durchaus rutschige Angelegenheit, wussten Sie das schon?

Der Originaltitel (Папа, сдохни!) lässt sich im Deutschen am ehesten mit Papa, krepier! übersetzen, das beschreibt den Grundansatz des Films eigentlich ebenso gut wie seine derbe, ironische Erzählhaltung; Sokolov hat mit seinem Debüt jedenfalls radikal Genrekino durchdacht und in geradezu Aristotelisch enger Form auf die Leinwand gebracht. Selten wurden im Kino Spaghetti und Würste so furchteinflößend gegessen. Dass der Film dank des kleinen Verleihs Drop-Out Cinema in die deutschen Kinos kommt, ist sehr erfreulich; denn so kann man sich den Namen Kirill Sokolov für die Zukunft vormerken.

Why Don't You Just Die! (2018)

Eine erbarmungslose Kammerspiel-Achterbahnfahrt voll greller Splatter-Action, blutiger In-Fights und jeder Menge schwarzem Humor. Ein Apartment, vier Personen — ein Polizist und schlimmster Vater der Welt, seine verärgerte Schauspielertochter, ein aufbrausender Jungspund und ein betrogener Kollege — jeder von ihren hat einen triftigen Grund zur Rache …

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Meinungen

Stefan Witte · 06.02.2022

Grenzwertig, aber tatsächlich originell und faszinierend