Whitney - Can I Be Me? (2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Niemals ich selbst sein

Schaut man sich die Zahlen an, scheint Whitney Houstons Karriere ein einziges Wunder zu sein: Als Kind sang sie im Kirchenchor, als Teenager modelte sie, ihre ersten Schallplattenaufnahmen machte sie mit 14 Jahren, ihren ersten Plattenvertrag unterschrieb sie mit knapp 20 Jahren. Im Jahr 1985 erschien ihr Debütalbum Whitney Houston, das sich allein in den USA über 13 Millionen Mal verkaufte. Greatest Love of All und Saving All My Love for You wurden weltberühmte Songs, auch danach ging es mit ihrer Karriere immer weiter steil bergauf. Das zweite Album Whitney war enorm erfolgreich, sie hatte sieben aufeinander folgende Nummer-eins-Single-Hits, sogar ihre Filme waren erfolgreich. Whitney Houston hatte eine phänomenale Stimme und eine fantastische Karriere. Und doch starb sie in einem Hotelzimmer an einer Überdosis Drogen.

Aus diesen Geschichten werden oftmals Filme, die das Leid und Leiden berühmter und tragisch verstorbener Menschen ausnutzt und wie zum Beispiel im Falle von Amy die Zuschauer zum Schaulustigen werden lässt. Doch Whitney – Can I Be Me? gelingt es, von einem Leben zu erzählen, ohne es auszubeuten. Dazu trägt insbesondere die Mischung des Materials bei: Einen großen Anteil nimmt das Konzertmaterial ein, das Rudi Dolezal auf Whitney Houstons letzter erfolgreicher Tournee 1999 in Europa gedreht hat und das bisher unveröffentlicht gewesen ist. Diese Aufnahmen verbindet Nick Broomfield mit Ausschnitten aus anderen öffentlichen Auftritten sowohl der Sängerin als auch ihrer Familienmitglieder sowie Aufzeichnungen von Gesprächen mit Menschen aus Whitney Houstons Umfeld, oftmals Freunde, die zugleich Angestellte waren.

In der Montage fügen sich dadurch Momente, Entscheidungen und Eindrücke fast zu einer Kette von Ereignissen zusammen, die letztlich zu Whitney Houstons Tod führten. Dadurch entsteht eine sehr starke Narration, die zum einen deutlich werden lässt, dass es nicht den einen Moment gab, der alles beendet – und die zum anderen auch viele Einblicke in das Musikgeschäft und die Erwartungen an eine afroamerikanische Frau geben. Es sind eben nicht nur ihre eifersüchtige Mutter und der geldfordernde Vater, die zu ihrer Labilität beigetragen haben, sondern sie hat auch sehr viel von ihrer Identität verleugnet, um diese Karriere zu haben. Von Anfang an wollte ihr Entdecker Clive Davis aus ihr eine Pop-Prinzessin machen – was ihm fraglos gelungen ist – und dazu gehört ein bestimmtes Image: Die afro-amerikanische Whitney Houston durfte nicht zu „schwarz“ wirken, ihre Lieder durften nicht zu sehr nach Soul oder R’n’B klingen, über ihre harte Kindheit in Newark, New Jersey durfte nicht zu viel bekannt werden. Dadurch wurde Whitney Houston zwar erfolgreich und bei den Grammys gefeiert, gleichermaßen aber bei den Soul Train Awards 1989 ausgebuht, weil sie als Verräterin angesehen wurde. In dieser Nacht lernte sie dann Bobby Brown kennen – und gewissermaßen gab sie ihm Klasse und er ihr Street Credibility.

Das Ausbuhen an diesem Abend hat sie nach Aussagen einiger Interviewpartner nie verkraftet. Hinzu kam nun die toxische Beziehung mit Bobby Brown. Sie hat nach Auskunft ihrer Brüder schon als Teenager Drogen genommen, aber fast nie getrunken. Nun traf sie Bobby – und der trank. Das hatte zur Folge, dass bald beide gleichermaßen Drogen und Alkohol konsumierten. Zudem kam Bobby Brown nicht mit Robyn Crawford zurecht. Sie galt in der Öffentlichkeit als ihre beste Freundin aus Newark, ihre Assistentin und ihre Vertraute. Tatsächlich aber, so deutet es der Film mehrfach an, waren sie Liebhaberinnen und Partnerinnen. Und damit erweitert sich abermals das Themenfeld, das Broomfield zumindest anreißt: das Schweigen über lesbische schwarze Frauen, das bis heute nahezu ungebrochen ist. Hinzu kommt, dass diese Beziehung und die anzunehmende Bisexualität weder zu Whitney Houstons Image gepasst hätte noch von ihrer sehr religiösen Familie und Gemeinde akzeptiert worden wäre. Das gibt beispielsweise ihre Mutter im Interview mit Oprah Winfrey offen zu. Auf der Europatour 1999 kam es zum Bruch mit Robyn Crawford – und am Ende des Films steht die Vermutung, dass sie vielleicht heute noch leben würde, hätte sie sie weiterhin in ihrem Leben gehabt.

Es gibt viele tragische Momente in diesem Film. Dazu gehört auch das Gespräch mit ihrem ehemaligen Bodyguard David Robert, der nach eigener Aussage bereits 1995 in einem Bericht klar zum Ausdruck gebracht hat, dass seiner Meinung nach ihre Familie eingreifen muss, weil ihre Drogensucht lebensgefährlich ist. Eine Woche später wurde ihm gesagt, seine Dienste werden nicht mehr benötigt. Sichtlich bewegt bringt er hier zum Ausdruck, was der Film schon vorher deutlich machte: Fast jede Person in Whitney Houstons Umfeld ist verantwortlich für ihren Tod. Sie waren finanziell abhängig von ihr und wollten daher nicht sehen, dass sie sich langsam zugrunde richtet.

Schon früh in ihrer Karriere hat Whitney Houston immer wieder die Frage gestellt, die nun dem Film den Untertitel gibt: Can I be me? Und letztlich muss man sagen, dass sie niemals sie selbst mit all ihren Widersprüchen sein konnte, die Pop-Prinzessin und das Ghetto-Mädchen, die Popsängerin und R’n’B-Diva, die Frau, die Männer und Frauen liebt. Nein, sie, die allabendlich I will always love you wie keine Zweite singen konnte, konnte niemals wirklich sie selbst sein.
 

Whitney - Can I Be Me? (2017)

Schaut man sich die Zahlen an, scheint Whitney Houstons Karriere ein einziges Wunder zu sein: Als Kind sang sie im Kirchenchor, als Teenager modelte sie, ihre ersten Schallplattenaufnahmen machte sie mit 14 Jahren, ihren ersten Plattenvertrag unterschrieb sie mit knapp 20 Jahren. Im Jahr 1985 erschien ihr Debütalbum „Whitney Houston“, das sich allein in den USA über 13 Millionen Mal verkaufte.

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