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Der Animationsfilm „Die weiße Schlange“ findet neue Bilder für eine der großen chinesischen Sagen. Aber findet der Film neben seinen überwältigenden Bildern auch erzählerische Tiefe?

White Snake (2019)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Bildstärke und Charakterschwäche

Eine der bekanntesten chinesischen Legenden wird im Animationsfilm „Die weiße Schlange“ um eine neue Vorgeschichte bereichert: Mit einem Aufgebot atemberaubender Bilder, das sich an ein erwachsenes Publikum richtet und den Animationsfilm nicht allein als Medium der Familienunterhaltung verstehet, erzählt der Film von einer jungen Frau, die eine mächtige Schlangendämonin ist, und einem unbedarften Dorfbewohner, deren jahrhundertealte Liebe alle Hindernisse und Gefahren überwindet. Bei aller Tiefe der überwältigenden Bilder leidet „Die weiße Schlange“ aber leider an der Verflachung seiner Figuren.

Xiao Bai (Zhang Zhe) und ihre Schwester Xiao Qing (Tang Xiaoxi) sind Schlangendämoninnen: ihre Körper großer, wendiger und machtvoller Schlangen können sie auch in das anmutige Äußere junger Frauen verwandeln, um damit unter Menschen unauffällig zu sein. Im Auftrag ihrer Meisterin (Wei Liu), der Anführerin aller Schlangendämon*innen, unternimmt Xiao Bai den Versuch, den finsteren General (Yaohan Zhang) zur Strecke zu bringen, der alle Schlangen im Land fangen lässt, um ihre Kraft aufzusaugen. Als Xiao Bai aber im Kampf unterliegt, erwacht sie ohne Gedächtnis in einem Dorf von Schlangenfängern, die unter der Herrschaft des Generals alle Schlangen im Umland einfangen. Sie lernt den jungen Xuan (Yang Tianxian) kennen, der ihr gemeinsam mit seinem Hund Dudou (He Zhang) dabei hilft, zur Erinnerung und zur Stärke im Kampf gegen den General zurückzufinden. Doch weder ahnen die beiden, dass Xiao Bai eigentlich eine Schlangendämonin ist, noch dass ihre Schwester Xiao Qing sie zur Meisterin zurückbringen soll, um den finalen Kampf gegen den General zu bestreiten.

Die Geschichte des jungen Paares einer verwandelten Frau und eines unbedarften Mannes, die sich ineinander verlieben, nimmt Bezug auf die chinesische Legende der weißen Schlange, spielt aber Jahrhunderte früher: Es ist die Erzählung vom Beginn einer Liebe und dem Verlust oder der Bewahrung von Erinnerungen, die sich durch alle Zeiten hinweg erhalten können, wenn sie nur warm und kräftig genug sind und in Momenten vollendet gegenwärtigen Glücks entstehen, das sie gegen die hereinbrechende Finsternis des Vergessens und der Zeit schützt. Dagegen steht die verkommene und gefährliche Sucht nach Unsterblichkeit, die Gewalt eines anderen Kampfes gegen die Zeit, der nur selbstsüchtig erfüllt werden kann, wenn die Seelen anderer Wesen ausgebeutet werden. Zwischen diesen Seiten entfaltet Die weiße Schlange die Selbstfindung jenes Paares, das sich findet und verliert, aber dessen Sieg gegen die Zeit letztlich nicht in der Herrschaft liegt, sondern in der ewigen Gegenwart der Liebe.

Entlang dieser Gegensätze spannt sich die vorhersehbare und wendungsarme Entwicklung einer fantastischen Sage auf, deren Figurenkonstellationen und Konflikte wenig inspiriert sind, selbst wenn – oder vielleicht gerade weil – der Film versucht, bestehenden Archetypen eine neue Geschichte zu geben. Diese erzählt Die weiße Schlange dabei in einem nicht immer geglückten Spagat zwischen den Modi der traditionellen, überlieferten und außerzeitlich gültigen Sage auf der einen, und den Modi des unterhaltsamen, gelegentlich selbstreferenziellen und um visuelle Pointen nie verlegenen Animationsfilms auf der anderen Seite. Zwar entzieht sich Die weiße Schlange dabei der immer noch gebräuchlichen vorherrschenden Gleichsetzung von Animations- und Kinderfilm – einen sprechenden Hund als Sidekick darf es aber dennoch geben.

Diese und andere Versuche der Auflockerung führen aber weniger zu einer Leichtigkeit in den ansonsten gewichtig stereotypen Erzählmustern und mythischen Konflikten als eher zu einer Irritation darüber, worauf Die weiße Schlange eigentlich abzielt. Die Geschichte von Xiao Bai und Xuan gerät auf erstaunliche Weise schnell in den Hintergrund: Wahrlich atemberaubende und ebenso präzise wie kraftvoll inszenierte Kompositionen von wunderschönen Bildern und dynamischen Kampfsequenzen stehen derart im Vordergrund des Films, dass schnell jede Erzählung zum Beiwerk wird. So sehr beinahe jedes Bild immer wieder in aufrichtiges Staunen versetzt und die Welt des Films aus reinem Licht und strahlender Farbe geschaffen scheint und so sehr die Choreographie perfekt abgestimmter Bild- und Klangwelten fesselnder Kämpfen atemlos mitreißt – so sehr enthüllt sich auch die Lieblosigkeit, mit der alles andere bloßer Vorwand für die Freisetzung jener Ausdrucksstärke ist.

Die außerordentliche Gestaltung von Die weiße Schlange täuscht nicht darüber hinweg, dass es immer wieder auch Figuren und Charaktere gibt, die bei näherem Hinsehen detailarm den Hintergrund füllen, und dass selbst einige der Hauptfiguren, insbesondere der General und die Meisterin der Dämonen, eindimensional konstruiert sind. Da hilft es nicht, dem großen Mythos von ewiger Liebe gegen herrschsüchtige Unsterblichkeit die eine oder andere Lockerung zu verpassen – am Ende reicht das Staunen über die Schönheit und Dynamik der Bildwelten allein nicht, um über die Verflachungen der davon allzu abgetrennten Figurenzeichnungen hinwegzutäuschen.

White Snake (2019)

Als die gutmütige weiße Schlangendämonin Blanca mit ihrem Atten- tat auf den General der kaiserlichen Armee scheitert, erwacht sie in Gestalt eines Mädchens in einem Dorf von Schlangenjägern. Ohne Erinnerung daran, wer oder was sie wirklich ist, verliebt sie sich in den jungen Jäger Ah Xuan und bringt damit gleichermaßen die Dorfbewohner wie ihre Dämonenschwester Vera gegen sich auf. Als auch der General seine dunkle Macht nach Blanca ausstreckt, muss sie sich ihres wahren Platzes in der Welt bewusst werden.

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Meinungen

Selina · 16.01.2020

Wann kommt "White Snake" nach Deutschland und in die Kino's?