Where the Condors Fly

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Unterwegs mit dem Nebelwerfer

Auf den ersten Blick wundert man sich schon ein wenig, dass es ein Film wie Carlos Kleins Where the Condors Fly in die deutschen Kinos schafft. Denn der Film erzählt von den Dreharbeiten zu einem anderen Film und ist bei erster schneller Betrachtung nicht sehr viel mehr als eine Art Making-of zu Victor Kossakovskys letztem Film ¡Vivan las Antipodas!, der im vergangenen Jahr immerhin für den Europäischen Filmpreis ins Rennen um die Ehrung als bester Dokumentarfilm ging. Der ambitionierte Film des Russen über entgegengesetzte Orte auf der Welt war durchaus gemischt aufgenommen worden; die Rezensionen schwankten zwischen Begeisterung und Ernüchterung ob des recht überschaubaren und wenig erhellenden Konzepts von Kossakovskys wahrhaft weltumspannendem Film. Dies sind nicht unbedingt ideale Voraussetzungen, doch der chilenische Filmemacher Carlos Klein, der den russischen Kollegen bei der Locationsuche in Patagonien unterstützte, macht aus dem Zusammentreffen einen Film, der mehr und mehr zum Versuch über das Filmemachen selbst gerät. Und genau das macht Where the Condors Fly zu einer sehenswerten Begegnung.
Besonders ist diese Erfahrung auch für Carlos Klein selbst, der nach dem Ende der Militärdiktatur in Chile durch die über das Land hereinbrechende Flut von Bildern und Filmen die Lust am Filmeschauen und -machen verlor. Als Klein dann einen Anruf von Kossakovsky erhielt, verbunden mit der Bitte, bei der Suche nach Drehorten in Patagonien behilflich zu sein, war das beinahe schon ein Wink des Schicksals, eine mögliche Erlösung aus dem Dilemma der Übersättigung. Das lag nicht nur daran, dass von Kossakovsky einer der wenigen Dokumentarfilme stammte, die Klein wirklich berührt hatten. Sondern auch an der Hingabe und Leidenschaft des Russen – all jenen Eigenschaften also, die Klein bei sich selbst schmerzlich vermisste.

Wenn man um diese Prämissen weiß, wird das Misstrauen gegen Carlos Kleins Film nicht unbedingt geringer. Es ist so viel Nähe, so viel Bewunderung, so viel eigener seelischer Ballast mit im Reisegepäck, dass man förmlich spürt, dass hier nichts anderes herauskommen kann als ein rührseliges Kinopoem über einen cineastischen Übervater und den verlorenen Sohn, der durch die Milde und Weisheit des Mentors zurückfindet in die Arme der Kinokunst. Und genau dies erfüllt sich dann vom ersten Moment an … nicht.

Denn dieser Victor Kossakovsky ist ein Berserker, ein immer wieder wild fluchender, dann wieder nachdenklicher, mal alberner, mal auf fast schon lächerliche Weise sinnierender Regisseur, der recht häufig alle Klischees über Filmer seines Schlages miteinander verbindet und in hyperbolischer Weise ins Absurde dreht – wäre es ihm nicht immer so ernst mit sich selbst: „Don’t film if you can live without filming“, so bringt es Kossakovsky selbst auf den Punkt. Doch wo sind die Grenzen – gerade im Hinblick auf den (wahrscheinlich sowieso nur unterstellten) Wahrheitsanspruch des Dokumentaristen? Wozu diese Nebelmaschinen, das Umarrangieren der angeblich doch perfekten Natur, die aufgedonnerte Musik, die Kossakovsky am Ende zuerst fast in den Wahnsinn und dann zum Weinen treibt? Ist das noch (dokumentarisches) Filmemachen oder nicht vielleicht schon Hybris?

Im Verlauf der Reise wird Kleins Reise mit seinem Protagonisten zu einer tour de force, die vorangetrieben wird von Kossakovskys skrupelloser Suche nach Bildern und Geschichten und den aufbrechenden Konflikten, die sich immer deutlicher bemerkbar machen zwischen dem Mentor und seinem Schüler. Bei jedem seiner Filme, so bemerkt der Russe gegen Ende von Where the Condors Fly, habe er mindestens einen guten Freund verloren – das glaubt man ihm bei aller Hochachtung vor seiner künstlerischen Erbarmungslosigkeit sofort.

Auch wenn Carlos Klein am Ende durch seine Reise um die Welt wieder zum Filmemachen zurückgefunden hat, auch wenn sich Where the Condors Fly abhebt von dem Werk, von dem er vorgibt, ein Making-of zu sein, muss man dennoch – sofern dies möglich ist – die beiden Filme, die Klein behandelt, zusammen anschauen. Weil sie mehr noch als Kossakovskys Opus alleine etwas über die Antipoden verraten – und zwar jene des Filmemachens selbst: Genie und bis ans Lächerliche grenzende Selbstbesoffenheit, große Geste und kleine Beobachtung, Schönheit und Kitsch.

Where the Condors Fly

Auf den ersten Blick wundert man sich schon ein wenig, dass es ein Film wie Carlos Kleins „Where the Condors Fly“ in die deutschen Kinos schafft. Denn der Film erzählt von den Dreharbeiten zu einem anderen Film und ist bei erster schneller Betrachtung nicht sehr viel mehr als eine Art Making-of zu Victor Kossakovskys letztem Film „¡Vivan las Antipodas!“, der im vergangenen Jahr immerhin für den Europäischen Filmpreis ins Rennen um die Ehrung als bester Dokumentarfilm ging.
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