Where To Invade Next

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Welcome to "Old Europe"

Objektivität war seine Sache nie: Michael Moore, US-amerikanischer Dokumentarist der politischen Linken, Goldene-Palme-Preisträger (Fahrenheit 9/11) – und notorischer Störenfried. Seine Art des Filmemachens schwankte bisher stets zwischen penetrantem Wanderpredigertum und lustvollem Faktenverzerren. Frei nach Churchills Credo: „Ich glaube nur an Statistiken, die ich selbst gefälscht habe.“
Moore inszenierte sich dabei mantrahaft als wuselige Wespe, die gerne mal die alte Dame USA ordentlich in den Hintern sticht. So ist das – wenig überraschend – auch in seinem neuesten Machwerk Where To Invade Next. Ein Prankenhieb hier auf das mitunter miserable, stark selektive Bildungssystem in den Vereinigten Staaten, ein Kassandraruf da in Bezug auf den oft menschenunwürdigen Umgang mit Strafgefangenen in US-Gefängnissen. So weit, so bekannt. Gewürzt mit wiederholter Kapitalismuskritik, mehreren Affronts gegenüber dem rechten Establishment aus Republikanern, Militärlobby und Waffenindustrie – und natürlich wieder Michael Moore höchstselbst als left-wing-Wunderwaffe, die den Demokraten mehr als nahesteht.

Nichts Neues also im politpropagandistischen Kosmos des umtriebigen Oscar-Preisträgers (Bowling for Columbine)? Ja und nein lautet hier die Antwort. Einerseits hat man sich in der Tat wieder recht schnell satt gesehen an Moores erneuten Egotrips vor der Kamera, was den fertigen Film trotz zeitweilig hohen Unterhaltungswerts in Sachen politischer Aufklärungsarbeit ein weiteres Mal ziemlich flach stranden lässt: im Statistik-Reigen wie in den – ebenfalls reichlich bekannten – Manipulationsversuchen seitens der Regie. Also doch nächster Halt „Aufklärungsnirwana“, Endstation. Bitte alle aussteigen …

Nein, doch nicht. Denn andererseits ist im neuen Werk von Michael Moore eine gewisse Altersmilde zu spüren, ohne dass seine eigene Handschrift verleugnet würde: Er nimmt sich diesmal deutlich mehr Zeit für seine Protagonisten in Finnland, Italien, Deutschland, Island oder Frankreich. Statt neueste Erkenntnisse in Waffentechnik oder Energiereserven zu erhaschen, leitet ihn dabei als dokumentarischer Invasor die Frage nach den geistigen Rohstoffen Europas: Warum werden gerade hier – Ironie der Geschichte – so viele uramerikanische Verfassungs- wie Arbeitsrechtkonzepte konsequent umgesetzt?

Um das herauszufinden, marschiert der US-Regisseur dieses Mal gleich selbst ein, anstatt seine Landsleute vorzuschicken. Mitten hinein ins lange Zeit verachtete „Old Europe“ (Donald Rumsfeld), das in der Verpackung Moores zeitweise tatsächlich wie eine umgesetzte Heilsvorstellung rüberkommt: Wohlstand für alle? Auf diesem Kontinent ist das scheinbar en gros überhaupt kein Problem. Viele Urlaubstage für gute Mitarbeiter? Ist doch eine Selbstverständlichkeit im reichen Norden Italiens. Kostenfreie Studienplätze für Schulabsolventen? Aber hallo, das ist ein Muss für junge Studenten in Slowenien. Nur EU-Bürokratiemonster oder sterbenskranke wie lebensmüde Griechen sind ihm auf seiner Reise nirgendwo begegnet. So ist das eben in der gewohnt sehr eigenen (Un-)Logik innerhalb eines Michael-Moore-Films.

Nach diesem Muster hangelt sich das Ein-Mann-Orchester Moore von einem europäischen Ziel zum Nächsten – mit durchaus munteren Momenten wie in Italien, wenn ihm dort ein in der Modeindustrie arbeitendes Pärchen mit Vorliebe zum Luxus genüsslich ein Urlaubsfoto nach dem anderen um die Ohren haut. Das geht weiter beim Kantinenessen in Frankreich („Ein Stück Käse für jeden Schüler am Ende eines täglichen Drei-Gänge-Menüs“) und schlägt den Bogen bis hin zu neuesten Strafvollzugsmethoden in norwegischen Hochsicherheitstrakten, wo Wärter für die Insassen „We are the world … we are the future“ singen. Schmachtend, überdreht – und sehr witzig ist das über weite Strecken. Festgehalten in einem eigens dafür arrangierten Videodreh, bezahlt aus der Staatskasse. Irgendwie muss dieses wahrlich überrumpelnde Ideengebilde dann doch in der Praxis funktionieren, denn von den verurteilten Mördern auf der „Gefängnisinsel“, die eher einem schwedischen Astrid-Lindgren-Universum entnommen zu sein scheint, ist noch nie jemand geflohen. Warum auch? Die Schlüssel zu ihren „Zellen“, die in Wirklichkeit aparte Naturhäuschen sind, halten die Insassen selbst in ihren Händen.

In einem kurzen Moment wie diesem glaubt sogar der Zuschauer an die Utopie Europa, an die Kraft der Historie: Deutschland wird hierbei zum Beispiel als geschichtsbewusste Nation Nummer eins vorgestellt. Moores Kamera dokumentiert dies – ungewöhnlich berührend für seine Verhältnisse – bei einem Besuch in Franken bei Faber-Castell sowie auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Wenigstens für Sekunden blitzt hier so etwas wie ein doch noch alle rettender Weltgeist namens Zukunft auf. So warmherzig, so ehrlich war das bisher noch in keinem Moore-Film zu erleben. Das ist eben die andere, viel positivere Seite von Where To Invade Next. Hier ist nicht mehr der gonzomäßige Zotenreißer am Werk, sondern – Obacht – der Humanist Michael Moore.

Ob das nun alleine am sichtlich gealterten Regisseur liegt? Und woher kommt diese plötzlich deutlich optimistischere Weltsicht im Vergleich zu früheren, sich mitunter subversiv gebenden, aber wenig ergiebigen Dokumentararbeiten? Um diese Fragen kümmert sich Moores Film zwar am wenigsten, aber sei es drum. Schließlich sind die klassischen Ingredienzien des Autoren Moores jederzeit sichtbar: Natürlich ist bei allem immer noch derselbe Mann unterwegs. Erneut mit XXL-Jeans und Wuschellook, Kapuzenpulli und Baseballcap, die ihm als Erkennungszeichen dienen.

Das Ganze kann man jetzt bloß für komisch, inszenatorisch mühsam oder als Gesamtprojekt vielleicht sogar recht unsinnig halten. Nur eines ist Where To Invade Next an keiner Stelle: Langweilig.

Where To Invade Next

Objektivität war seine Sache nie: Michael Moore, US-amerikanischer Dokumentarist der politischen Linken, Goldene-Palme-Preisträger („Fahrenheit 9/11“) – und notorischer Störenfried. Seine Art des Filmemachens schwankte bisher stets zwischen penetrantem Wanderpredigertum und lustvollem Faktenverzerren. Frei nach Churchills Credo: „Ich glaube nur an Statistiken, die ich selbst gefälscht habe.“
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